Die großen Rockerclubs Bandidos, Hells Angels, Outlaws und Gremium MC bauen ihre Organisation in NRW weiter aus. Laut Landeskriminalamt hat sich die Zahl der örtlichen Vereinigungen seit 2005 beinahe verdoppelt. Aktuell beobachtet die Polizei neue Revierkämpfe und kündigt neue verschärfte Kontrollen an.
Essen.
Es spricht schon für sich, wenn eine Gruppe Motorradfans im Internet ankündigt, sich ein eigenes Rückenlogo anheften zu wollen, für gemeinsame Ausfahrten, und dabei versichert: „Wir sind kein MC und stellen keinerlei Gebietsansprüche“. In der Motorradszene geht es martialisch zu, das weiß offenbar „Dombiker“ aus Köln, der Ende Januar auf dem Biker-Portal „German Colours.de“ die Gründung der „DomBikerz“ ankündigt. Köln ist in der Rockerszene gebietstechnisch längst einschlägig erschlossen: Der Motorradclub „Gremium“ hat dort ein „Chapter“. Und in der näheren Umgebung haben sich Bandidos und Hells Angeles angesiedelt – allesamt bekannt und in Teilen berüchtigte Rocker-Gruppen. Da sollte man als ’normaler‘ Bikerverein besser die Friedensflagge schwenken.
Die Motorradszene in NRW ist in Bewegung und die Polizei richtet seit kurzem wieder verstärkt ihre Augen auf die Rocker: Seit 2005 hat sich die Zahl der Rockerclubs („MC“) in NRW fast verdoppelt. 48 Chapter oder Charter, je nach Vereinigung, zählt das Landeskriminalamt (LKA) mittlerweile zwischen Siegerland, Ost-Westfalen und Niederrhein. „Entscheidend ist aber nicht die Zahl, sondern die kriminelle Energie, die dahinter steht“, sagt Ermittler Thomas Jungbluth, LKA-Experte für Organisierte Kriminalität.
Polizei befürchtet neue Rockerkriege in NRW
Laut „Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2010“ geht es bei Rocker-Kriminalität vor allem um Rauschgift- und Waffenhandel bzw. -Schmuggel, „Kriminalität im Nachtleben“, verbunden mit Verfahren wegen Bedrohung, Körperverletzung bis hin zu Mord. 2010 zählte das Bundeskriminalamt (BKA) 35 „OK-Verfahren“ in Bezug auf Rockergruppen, darunter fünf in NRW. Das waren insgesamt 5,8 Prozent aller Verfahren im Bereich Organisierte Kriminalität. Eine deutliche Steigerung: 2006 wurden bundesweit zwei Verfahren gegen Rocker gezählt, 2008 waren es 15, das Jahr darauf 21. Nimmt mann 2010 die OK-Ermittlungen im Rocker-Umfeld hinzu, erhöhen sich die Statistik auf insgesamt 57 Polizei-Ermittlungen.
„Die meisten Rocker sind friedlich“
Wie hoch das Gewaltpotential unter Rockern ist, ist jüngst wieder zu beobachten: Zwischen 100 Bandidos und Hells Angels war es Ende Januar in Mönchengladbach zu einer wüsten Schlägerei gekommen, bei der ein Rocker lebensgefährlich verletzt wurde. Noch am gleichen Abend gab es in Herten einen Anschlag auf das dortige Bandidos-Clubheim und etwas später in Oberhausen zu einer Schießerei. „Wir sehen da einen Zusammenhang“, sagt Thomas Jungbluth. Seitdem bekommt die Rockerszene in NRW verstärkt Besuch der Polizei. Jungbluth: „Wo Rocker aufeinandertreffen, steigt das Risiko von Gewalttätigkeiten. Rockerkriege, wie es sie in den 1990er Jahren in Skandinavien gab wollen wir in NRW nicht haben“.
Rocker mit Migrationshintergrund – ein neuer Trend in der Szene
Der Blick auf die NRW-Karte zeigt, dass das Rocker-Netz noch Lücken hat. Im Ruhrgebiet dominieren die Bandidos, die in NRW laut LKA aktuell 25 Ortsvereinigungen („Chapter“) haben. Ein weiteres Chapter kommt demnächst im sauerländischen Menden hinzu, teilt die Hagener Polizei mit. Die Hells Angels sind mit neun „Chartern“ in NRW vertreten, vor allem im Rheinland, dem Bergischen Land und im Siegerland. Insgesamt dürfte sich die Zahl der Mitglieder von 300 im Jahr 2005 auf mittlerweile an die 800 mehr als verdoppelt haben.
Es gibt noch weitere Gruppen, die Präsenz in NRW zeigen: Der Gremium MC hat seit ein paar Wochen in Dinslaken seine Pflöcke gesetzt; „Ein Clubheim gibt es noch nicht“, sagt ein Sprecher der Weseler Kreispolizei. Bei der Ankündigungs-Feier auf der Trabrennbahn am 14. Januar zählte die Polizei 550 Rocker „aus dem ganzen Bundesgebiet“. Dabei zeigt sich in Dinslaken ein neuer Trend, erklärt LKA-Ermittler Jungbluth: „Zunehmend sehen wir Personen mit Migrationshintergrund, die sich Rockern anschließen.“ Die Gremium-Ortsgruppe in Dinslaken trägt nach eigenen Angaben den Namen „Probechapter Bosporus West“; die Mitglieder sind überwiegend türkischstämmig. Aus Sicht der Polizei ist es eine allgemein zu beobachtende Entwicklung, dass sich in punkto Migrationshintergrund nun Leute dem Milieu nähern, die bereits eine kriminelle Karriere mitbringen.
„Nicht jede Clubhaus-Eröffnung steht für einen Rockerkrieg“
„Man muss nicht gleich mit jeder neuen Clubhauseröffnung die Angst vor einem Rockerkrieg schüren“, meint indes Michael Ahlsdorf, Chefredakteur des Magazins „Bikers News“ und Autor des Buchs „Alles über Rocker“. Bundesweit gibt es weit über 1000 Rockerclubs, schätzt Ahlsdorf. Die einzelnen Chapter kämen in der Regel auf zehn bis 20 Mitglieder. „Dazu kommen Supporter, darunter Unterstützer aus den verschiedensten Subkulturen“. Zudem gebe es eine Vielzahl sogenannter Freebiker, „die in der Rocker-Szene unterwegs sind, aber nicht zu den Clubs gehören“. Wie groß die Szene insgesamt ist, lässt sich schwer sagen. Gemessen an der monatlichen Verkaufszahl von „Bikers News“ dürften es laut Ahlsdorf an die 50.000 Rocker sein.
„Nicht alle Rocker sind gleich auffällig“, betont LKA-Mann Jungbluth. Er will allerdings nicht „einzelne Gruppierungen adeln, indem wir jetzt die besonders Auffälligen benennen“. Im Auge hat die Polizei bundesweit vor allem die vier sogenannten „Outlaw Motorcycle Gangs“ (OMCG), das sind Hells Angels, Bandidos, Outlaws und Gremium MC, die in Baden-Württemberg vor ein paar Jahren für einige Zeit verboten worden waren. Auch die Outlaws sind n NRW vertreten, mit aktuell fünf Chaptern. Der Gremium MC kommt laut LKA derzeit auf acht Chapter zwischen Aachen und Minden.
Die NRW-Landkarte füllt sich mit neuen Chaptern
Wenn sich nun die Landkarte mit Chaptern weiter füllt, heißt das aus Sicht der Polizei nichts Gutes: „Wenn ein OMCG sich irgendwo einrichtet, muss er dort sofort Flagge zeigen. Wenn dort bereits ein anderer OMCG ist, läuft das auf Streit hinaus. Solche Konflikte versucht die Polizei zu verhindern“, erklärt Thomas Jungbluth. Denn: „Die Ausbreitung der Rocker dient dazu, Claims abzustecken und Alleinvertretungsansprüche anzumelden. Das hilft dann, die eigenen Gewinnmöglichkeiten etwa in der Türsteherszene oder im Rotlichtmilieu zu steigern“.
Flagge zeigen tun Rocker auf verschiedene Weise: Sie treten am liebsten in Gruppen auf, wie etwa kürzlich bei einer Geburtagsfeier eines MC-Präsidenten der Bandidos in Bochum, die von massivem Polizeiaufgebot begleitet wurde. Die Hauptinsignien der Motorclub-„Members“ sind, ähnlich wie bei ‚Hardcore‘-Fußballfans, „Kutte“ und „Colour“ (das Club-Wappen). Die Clubs selbst funktionieren nach dem Prinzip des „Jahrtausende alten Mythos der Bruderschaften, der noch immer zieht“, beschreibt Rocker-Experte Ahlsdorf. „An gleichermaßen erster Stelle stehen dabei in den Rockerclubs die Gemeinschaft und das Motorrad. Dazu kommt der Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft“. Harte Aufnahme-Rituale und eine mitunter Jahre andauernde Anwartschaft von Neu-Mitgliedern tragen das Übrige zum Rockerbild bei, das auf Abgrenzung und Abschreckung ausgerichtet ist. Kein Wunder, dass die Polizei beklagt, „wir stoßen in der Szene auf eine Mauer des Schweigens“.
Frust über „ein paar Jung-Rocker“
Gleichwohl: Auf Rummel aus sind Rocker eher nicht, meint Michael Ahlsdorf: „Zu viel Rummel bedeutet zu viel Presse mit möglicherweise verzerrender Berichterstattung und möglicherweise zu viel Polizei“. So findet sich nach Rocker-Treffen in den Abschlussberichten der Polizei nach wie vor häufig die Bemerkung, alles sei „friedlich“ verlaufen. Bei der Polizei lässt man offen, „ob das auch so gewesen wäre, wenn wir dort nicht kontrolliert hätten“.
Die Entwicklung in der Szene stößt offenbar auch so manchem Rocker sauer auf, wie aus einem weiteren Post auf „German Colours.de“ hervorgeht: Ein Micha aus Eschweiler lässt dort am 14. Februar unter der Überschrift „Es kotzt mich an“ seinen Frust über „ein paar jung-Rocker“ los, „die meinen ich müsste mich hier etablieren“. Offenbar sind ihm dem Rocker ein paar Leute quer gekommen. Seit über25 Jahren sei er und sein „Colour“ in der Szene bekannt, schreibt Micha und tippt, mit offenkundiger Wut im Bauch diesen Hinweis ins Netz: „Ich kündige meine Colour zum 01.01.1980 hier an und nun pisst euch in die Louis-Billig-Leder-Jeans (…) Fahrt nach Jüchen, um euch als Rocker zu outen und lasst die Leute in Ruhe, die es so leben„.