Schwergewichtsbodybuilderin Christine Brings (49) kann nicht mehr bei deutschen Wettkämpfen antreten. Jetzt sammelt sie Pokale beim Dressurreiten.
Moers.
Männer ächzen. Schweiß fließt. Metall klirrt. Unter den Kraftpaketen in einem Moerser Sportstudio schuftet nur eine Frau an den Geräten. Christine Brings, pralle Arme, wuchtige Oberschenkel, aber kein Gramm Fett. Sie liegt auf der Schrägbank, mit einem Ruck stemmt sie die Hantelstange hoch. Viel zu einfach. Die Bodybuilderin legt zwei schwere Eisenscheiben mehr auf beide Seiten. Zurück in Position, ihre Hände umfassen wieder fest die Stange. Sie streckt den Rücken durch, spannt den Körper an. Fingerdicke Adern treten an ihrem Bizeps hervor.
Entschlossen wuchtet sie die 100 Kilo hoch. Einmal, zweimal, dreimal. Die Halsschlagader pulsiert, das Gesicht färbt sich rot, ihr Brustkorb bebt. Insgesamt sechsmal nacheinander bezwingt sie die Gewichte, wischt sich lächelnd mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. „Puh! Vorgenommen hatte ich mir nur viermal. Aber mehr ist immer besser.“
Inzwischen trainiert die 49-jährige Duisburgerin nicht mehr für Wettkämpfe, sondern nur noch für sich selbst. Ob das so bleibt, ist schwer zu sagen. Es wäre nicht ihr erstes Comeback. Seit gut 25 Jahren betreibt sie Kraftsport, gewann dutzende Pokale, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere 2002 den Weltmeistertitel im Schwergewicht. Trotz jahrelanger Pause ließ sie ihr Training nie schleifen. Als sie der Ehrgeiz erneut packte, gewann sie 2012 auf Anhieb weitere Titel. Auch der erneute WM-Sieg war zum Greifen nah, doch der Traum platzte. Ihr Kreislauf versagte. So will sie ihre Karrie eigentlich nicht beenden. Aber sie muss vielleicht.
„In Deutschland gibt es kein echtes Frauenbodybuilding mehr“, sagt Brings. Die Schwergewichtsklasse ist abgeschafft und für die nächst niedrigere müsste sie Muskelmasse abtrainieren, um aufs Treppchen zu kommen. „Ich möchte mich vom Kampfgericht nicht dafür bestrafen lassen, dass ich massive Muskeln habe.“
Trotzdem kommen neuerdings zu ihren dutzenden Pokalen weitere dazu. Die sammelt Christine Brings jedoch im Dressurreiten. Als Mädchen ist sie bereits auf den Ponys ihrer Eltern geritten, saß als Erwachsene dann lieber auf Motorrädern.
Vor knapp einem Jahr verletzte sich eine Freundin dann bei einem Reitunfall und Brings bewegte für sie das Pferd. Seither ist ihre Leidenschaft fürs Reiten wiedererwacht. Das Schulpferd Rudi, ein Wallach, ist inzwischen ihr Partner. „Er ist ein Riese mit einem tollen Charakter. Aber er hat Angst vor allem, was neu ist.“
Durch Pferdetritt verletzt
Dass die Schwergewichtsweltmeisterin trotz ihrer großen Oberarme längst nicht so stark ist, wie ein Pferd, hat sie schmerzlich zu spüren bekommen, als Rudi im Sommer nach einer Bremse trat und die Athletin am linken Arm streifte. Bis heute ist die Verletzung nicht komplett geheilt. Übel nimmt sie das dem Hannoveraner mit 1,80 Schulterhöhe nicht. „Das hat er nur aus Versehen gemacht“, winkt sie ab. Wenn sie zu ihm in den Stall nach Rayen kommt, freut sich der Wallach und nascht genüsslich Karotten und Brötchen, die seine Reiterin ihm mitbringt.
Ohnehin gehöre „enorme Verletzungsgefahr“ eben zu ihrem Hobby. Auch bei einem Motorradunfall hat sich schon mal einen Beinmuskel gerissen. Dagegen habe sie sich beim Bodybuilding niemals ernsthaft verletzt, auch sei ihr Körper nicht längst durch den Kraftsport oder Medikamentenmissbrauch zerschunden, dass sie mit 49 Jahren gezwungen sei, auf Wettkämpfe im Bodybuilding zu verzichten.
Tatsächlich glimmt in dem gestählten Körper mit dem großen Bizeps noch immer Ehrgeiz. Ostern kommt der renommierte „Loaded Cup“ erstmals von Dänemark nach Bochum. Bei diesem internationalen Turnier könnte sie zwar als Schwergewicht antreten, müsste aber mit 1,71 Metern und über 70 Kilo gegen kleinere Athletinnen antreten, die keine 50 Kilo wiegen – das ist unbefriedigend für alle Teilnehmerinnen. Christine Brings bleibt unentschlossen.
Keine Vorurteile im Verein
Die Wettkampfbühne kann warten, Rudi aber nicht. Zweimal pro Woche besucht sie ihn im Reit- und Fahrverein in Rayen. Während sie beim Kraftsport eine Einzelkämpferin sein muss, ist sie nun die Hälfte eines Duos. Das ist für sie ungewohnt, aber spannend: „Wenn Rudi entspannt ist, klappt alles gut. Wenn er nicht will, geht gar nichts. Er latscht auch gern mal wie ein Lulli.“ Das hört sich nicht gerade nach einem Champion an. Brings findet ihn trotzdem toll und schmust mit ihm, selbst wenn er mal störrisch war oder buckelte.
Doch nicht nur die Pferde mag die Duisburgerin, auch die übrigen Vereinsmitglieder. „Sie alle haben mich sehr herzlich aufgenommen.“ Sie kennen Brings nur unter ihrem Spitznamen Tini und ahnten zunächst nicht, dass sie Weltmeisterin im Bodybuilding ist. Das änderte sich im Sommer, als sie mit kurzen Ärmeln zum Stall kam. „Da haben alle gestaunt: Wow, was hast Du denn für tolle Arme.“ Solche positiven Reaktionen ohne Vorurteile freuen sie. Zumal sie durchaus schon andere Erlebnisse hatte. Vor allem im Schwimmbad, wo sie ihren muskulösen Körper nicht verbergen kann. „Jede zweite Frau fühlt sich dort genötigt, einen blöden Kommentar abzulassen. Besonders dann, wenn ihr Mann mir gerade hinterherguckt.“
Schminke, lackierte Nägel, Stöckelschuhe und Hanteln
Dass viele einen muskulösen Frauenkörper weder schön noch feminin finden, sei für den Sport aber unerheblich: „Bodybuilding ist nicht auf Schönheit ausgelegt, sondern auf Leistung.“ Spindeldürre Marathonläufer seien schließlich auch kein Schönheitsideal, müssten sich aber anders als Kraftsportlerinnen nicht ständig dafür verteidigen, wie sie ihren Körper geformt haben. „Ich bin wie andere Frauen auch, ich schminke mich, mache mir die Nägel und trage Stöckelschuhe – das lege ich nicht ab, nur weil ich Hanteln in die Hand nehme.“
Sie mag sich schlank aber auch muskulös, dafür stemmt sie vier Mal pro Woche im Fitnessstudio schwere Gewichte, außerdem kommt sechs Mal die Woche Hähnchenbrust mit Salat auf den Tisch – jede Woche, seit vielen Jahren schon. „Ich möchte nun mal einen richtig dicken Arm haben, einen richtig großen Bizeps.“ Nur mit ihren Beinen ist sie seit ihrer letzten Wettkampfsaison 2012 unzufrieden. „Meine Oberschenkel sind immer noch massiv.“ Sie trotzen seither jeder Jeanshose und wollen einfach nicht schrumpfen. „Das ist leider keine alltagstaugliche Figur.“
Nach der Reitstunde mit Vereinsmitgliedern zusammensitzen
Falls sie allerdings doch beim Loaded Cup für die Kampfrichter ins Scheinwerferlicht tritt, wird sie über ihre hartnäckig großen Beine froh sein. Bis dahin erlebt sie aber bei Wallach Rudi, was echte Muskelkraft ist, mit der sich keine Bodybuilderin messen kann.
Der Hannoveraner ist jetzt wieder in seiner Box ist und hat seine Belohnungsbrötchen längst genossen. Christine Brings sitzt mit dem Reitverein zusammen an der Theke. Eine Vereinskameradin kommt nach einem kräftezehrenden Ritt auf einem Friesen dazu. „Morgen habe ich bestimmt wieder Muskelkater, Tini. Manchmal wünschte ich, ich hätte auch so Oberarme wie du.“