Duisburg.
Schon vor wenigen Wochen war es im Duisburger Fußballkreis 9 wieder vermehrt zu Auseinandersetzungen gekommen. Jetzt kam es am vergangenen Wochenende im Kreisliga-Fußball erneut zu Gewaltszenen. Die Polizei rückte aus, ein Spieler musste stationär behandelt werden. Beteiligt: Glückauf Möllen II und die vierte Mannschaft von Genc Osman Duisburg – ausgerechnet der Multikulti-Klub, der wie kaum ein anderer in Duisburg für Toleranz, Respekt und Integration kämpft.
Genc Osmans 2. Vorsitzender Erkan Üstünay (37) sprach mit NRZ-Volontär Bastian Angenendt über den Vorfall und die generelle Gewaltproblematik im Fußballkreis 9.
Wenn man die Reaktionen auf unsere jüngste Berichterstattung liest, liegt die Vermutung nahe, dass sich der ein oder andere in Duisburg jetzt denkt: Na klar, wieder so eine Türkenmannschaft. Was halten Sie davon?
Erkan Üstünay: Das ist für viele der leichte Weg und mir persönlich zu primitiv. Wenn ich hören würde, dass sich ein anderer Verein geprügelt hätte, würde ich doch nicht lachen und sagen: die Deutschen wieder. Das täte mir weh. Solche Sachen haben nichts mit der türkischen, kurdischen oder deutschen Mentalität zu tun. Das kann überall passieren, in jedem Verein. Und es geht uns alle an. Mal abgesehen davon, dass wir kein rein türkischer Verein sind.
Aber Ihre Mannschaft war nun mal beteiligt.
Üstünay: Ja, leider. Ich muss von vornherein sagen: Ich war nicht dabei. Aber ich habe mir von allen erzählen lassen, was passiert ist. Sie haben mir alle bestätigt, dass sie provoziert und angegriffen worden sind. Die beteiligten Zuschauer kamen auch nicht von uns, weil unsere Vierte sowieso meist nur mit 15, 16 Leuten unterwegs ist. Aber wir brauchen nicht darüber zu reden, dass das vollkommen scheiße ist.
Ein Spieler des Gegners musste stationär behandelt werden.
Üstünay: Unsere Jungs haben auch etwas davon getragen. Sie hätten sich auch ins Krankenhaus bringen lassen können.
Sanktionieren Sie Ihre Spieler?
Üstünay: Ich könnte sie rauswerfen, aber dann gehen sie zum nächsten Verein und machen da vielleicht denselben Fehler. Das ist nicht unser Ansatz. Wir sprechen mit den Jungs und erklären ihnen in Ruhe, was sie falsch gemacht haben. Wenn ich merken würde, dass das immer wieder vorkommt und die Gespräche nicht helfen, hätte ich kein Problem damit, die Mannschaft abzumelden.
Haben Sie damit Erfolg?
Üstünay: Ich sage mal so: Wir nehmen auch härtere Fälle auf, die woanders vielleicht nicht mehr aufgenommen werden würden. Wir sind in Hamborn nun mal eine sozialschwache Gegend, wo es Probleme gibt. Das sind keine einfachen Jungs. Aber ich denke, es lohnt sich, sich mit diesen Fällen auseinanderzusetzen. Bei 100 Prozent der Jungs können wir nicht erfolgreich sein, aber 80 schaffen wir. Es ist besser, als das Problem wegzuschieben. Es macht uns Spaß.
Warum, denken Sie, haben Teams mit vielen Migranten mit solchen Vorurteilen zu kämpfen?
Üstünay: Weil man sich nicht kennt. Und durch dieses Nicht-Kennen kommt es zu Ängsten. Wir bemerken diese Vorurteile schon, wenn wir auswärts irgendwo hinfahren. Dabei muss ich sagen, dass 90 Prozent unserer Jungs hier geboren sind und mehr deutsche Mentalität in sich tragen, als die meisten denken.
Wie erklären Sie sich, dass der Fußballkreis 9 so oft mit Gewalt zu kämpfen hat?
Üstünay: Weil viele Vereine nicht präventiv arbeiten, nur den Fußball sehen. Bei uns gibt es nicht nur das Training am Dienstag und Donnerstag und das Spiel am Sonntag. Bei uns gibt’s auch ein Jugendzentrum, das täglich 16 Stunden offen hat. Wir haben eine pädagogische Leitung, Anti-Rassismus-Trainings, wir kämpfen gegen Radikalisierung in jeder Form. Der Fußball ist das, was die Jungs lieben, aber wir erreichen sie auch auf dem anderen Weg.
Gibt es schon Vereine, die sich etwas von Ihnen abschauen wollen?
Üstünay: Ich glaube schon, dass wir für einige zum Vorbild geworden sind. Aber es gibt auch Neider. Zum Beispiel, weil wir Preise für unsere Arbeit gewonnen haben. Aber das nervt mich. Darum geht es nämlich gar nicht. Diese Arbeit geht uns alle etwas an und wir sollten alle versuchen, voneinander zu lernen. Wir versuchen das ständig.
Der Fußballkreis könnte auch noch etwas lernen. Schiedsrichter-Obmann Volkan Alan bemängelte im Gespräch mit der NRZ, dass es bislang keine präventiven Maßnahmen von offizieller Seite gibt. Einen Runden Tisch etwa, mit Spielern, Trainern und Schiedsrichtern.
Üstünay: Das sehe ich auch so. Ich sagte ja bereits: Wenn man sich kennt, wird alles einfacher.
Was sagen Sie Leuten, die nach Sonntag wieder gegen „Türkenmannschaften“ gewettert haben?
Üstünay: Macht es euch nicht so einfach. Das bringt uns als Gesellschaft nicht weiter.
SV Genc Osman bereits vom DFB prämiert
Der hat für seine kurze Vereinshistorie schon beträchtliche Erfolge vorzuweisen. Gerade erst im Februar dieses Jahres gewann der Multikulti-Klub den zweiten Preis des DFB-Integrationspreises, dotiert mit stolzen 10.000 Euro.
Der Vorsitzende Mustafa Palabiyik und Erkan Üstünay nahmen die Auszeichnung in Berlin aus den Händen von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff entgegen. „Das war eine riesengroße Anerkennung“, meint Üstünay, der jüngst noch mal für eine Preisverleihung nach Berlin reisen durfte, um von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Rahmen der „Initiative Sicherheitspartnerschaft. Gemeinsam mit Muslimen für Sicherheit“ prämiert zu werden.
Beide Preise bekam der SV Genc Osman für seine sozial-integrative Arbeit im Jugendzentrum „Respekt“, das im Keller der Moschee Genc-Osman zu finden ist. Dort finden Projektarbeiten in Kooperation mit der Polizei statt, Anti-Rassismus-Trainings. Das übergeordnete Ziel, so Üstünay: „Wir wollen jede Art von Radikalisierung oder Extremismus verhindern. Egal, ob politisch oder religiös.“
Viele Erfolge in kurzer Zeit
Warum sich der 37-jährige Kommunikationselektroniker vom Integrationsgedanken leiten lässt? „Ich glaube, ich habe die soziale Ader einfach immer in mir gehabt. Ich helfe anderen Menschen gerne.“ Üstünay ist Gründungsmitglied des 2007 aus der Taufe gehobenen SV Genc Osman. Mittlerweile stellt der Hamborner Klub vier Mannschaften. „Es ist auch für uns ein bischen erstaunlich, dass es in so kurzer Zeit so viele Erfolge gab“, sagt Üstünay.
Die Preise seien aber nur nettes Beiwerk, meint der 2. Vorsitzende. Rückschläge gehörten genauso dazu. „Wir sind ja keine Profis. Wir können nur lernen, wenn wir auch mal Fehler machen“, sagt Üstünay. „Aber selbst, wenn wir nur einem von 100 Kindern helfen, ist das ein Erfolg.“