Die Aufregung über Steuertrickser ist in der Politik groß. Doch Deutschland spielt in der EU eine traurige Rolle bei Schlupflöchern.
Brüssel.
In der EU tritt die Bundesregierung als Vorkämpfer gegen Steuerdumping auf – öffentlich. Doch sobald sich die Türen schließen, erlahmt der Eifer. Interne EU-Dokumente zeigen: Die Bundesrepublik hat auch dafür gesorgt, dass sich an der Steuervermeidung internationaler Großkonzerne nichts änderte und die EU bis heute nicht über wirksames Rüstzeug gegen das Übel verfügt.
Das zeigt sich auch gut an der Personalie Wolfgang Nolz, den Deutschland wundersam in einem EU-Amt beließ. Wenn es um Geld geht, setzt er auf Diskretion. 2013 wurde er zum Kapitalmarktbeauftragten im Wiener Finanzministerium ernannt, mit dem ausdrücklichen Auftrag der damaligen Amtschefin Maria Fekter, „das österreichische Bankgeheimnis zu verteidigen“. Der heute 72-jährige sei „einer der profiliertesten Kapitalmarktinsider“, meinte Fekter. Als Leiter eines hochrangigen Gremiums, das in der EU gegen die Umgehung der Unternehmenssteuern angehen soll, ist er aber nicht gerade eine Idealbesetzung.
Vorbehalte gegen Nolz änderten nichts
Das fand auch die Bundesregierung. In einem Vermerk vom November 2011 stellte das Bundesfinanzministerium fest, Österreich sei „nicht die erste Wahl für den Vorsitz“ der Gruppe „Verhaltenskodex“, in der Nolz seit deren Gründung 1998 sitzt. Schließlich habe Wien mit der Verweigerung eines automatischen Datenaustauschs „zu Steuerverlagerungen vor allem auch von deutschen Steuerpflichtigen animiert“.
Die Brüsseler EU-Kommission teilte die Vorbehalte. Sie fragte in Berlin, ob die Deutschen (DEU) nicht selbst die Gruppe leiten wollten? „DEU musste leider wg. Personalproblemen ablehnen“, vermerkt das vertrauliche Papier, eine Weisung an Berlins EU-Botschafter. Es blieb bei Nolz, dem Altmeister der Geheimnisverteidigung.
Die blamablen und wenig plausiblen „Personalprobleme“ stehen symptomatisch für den gebremsten Elan, den die Bundesregierung in den vergangenen Jahren an den Tag gelegt hat, wenn es darum ging, in Sachen Unternehmensbesteuerung zur Tat zu schreiten. Dokumente aus der Gruppe „Verhaltenskodex“ und aus Gremien des Ministerrats belegen: Der Verzicht auf die Ablösung des Insiders Nolz ist nicht die einzige verpasste Chance.
Gruppe „Verhaltenskodex“ berät über Tricks
In der Gruppe „Verhaltenskodex“ beraten Vertreter der Mitgliedstaaten hinter verschlossenen Türen über Tricks und Schlupflöcher, durch die Firmen Steuer-Milliarden verschwinden lassen. Wie wenig Nolz und seine Mitstreiter tatsächlich ausrichten, offenbarten der LuxLeaks-Skandal im Herbst 2014 und die Enthüllungen über ähnliche Praktiken in anderen EU-Staaten.
Zwar laufen mittlerweile Verfahren gegen Großkonzerne wie Starbucks, Fiat, Apple und Google. Das ganze Ausmaß des Missbrauchs liegt aber weiter im Dunkeln. Auch der TAXE-Sonderausschuss des Europaparlaments konnte die Aufklärung bisher nur ansatzweise leisten, unter anderem weil den Abgeordneten der Zugang zu den meisten Protokollen aus den Sitzungen der Mitgliedstaaten verwehrt wird.
Am 4. Februar 2015 beriet die Kodexgruppe über den Austausch von Steuervorbescheiden („Tax Rulings“). Die diskreten Vereinbarungen zwischen Fiskus und Firma waren das Hauptvehikel der großen Steuerschmelze in Luxemburg.
Deutschland wollte nutzlose Daten liefern
Um zu prüfen, ob Konzerne von unrechtmäßigen Vorzugsrabatten profitieren, hatte die EU-Kommission um genauere Auskünfte gebeten. Laut Protokoll wollten jedoch zwei Staaten nur anonymisierte und damit für die Kommissionsermittler unbrauchbare Daten liefern: Österreich und Deutschland.
Nach Unterlagen der Ratsarbeitsgruppe Steuern vom Juli 2015 wirkte Berlin auch im weiteren Verlauf der Beratungen an einer kleinen Lösung mit. Die wurde schließlich im Oktober vom Finanzministerrat beschlossen: Die Kommission bleibt außen vor.
An einer umfassenden Rechenschaftspflicht der Unternehmen zeigte Berlin ebenfalls wenig Interesse. Dabei funktioniert sie bei Banken sowie in der Rohstoff- und Forstwirtschaft längst einwandfrei: Die Firmen müssen im Jahresabschluss auflisten, in welchen Ländern sie Geschäfte betreiben, was sie dabei an Profit erzielen und wie viel Steuern sie darauf bezahlen.
Deutschland hatte es nicht eilig
Eine allgemeine Verpflichtung zu Länderberichten („Country-by-country Reporting“), auf die das EU-Parlament drängt, stößt indes auf Widerstand der Mitgliedstaaten. Der wäre leichter zu knacken, würde das Instrument, wie vom Parlament gefordert, in das EU-Gesetz über Aktionärsrechte aufgenommen. Dafür genügt ein Mehrheitsbeschluss, Einstimmigkeit wie in Steuerfragen ist nicht erforderlich. Doch Deutschland hat es nicht eilig: In einer Sitzung der Arbeitsgruppe Gesellschaftsrecht am 14. September 2015 „trug DEU vor, generell unterstütze man die Idee der Verbesserung von Unternehmenstransparenz auch in Steuerfragen. Allerdings müsse dies auch zu richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle diskutiert werden“. Derzeit, heißt es im deutschen Sitzungsprotokoll weiter, „sei der Zeitpunkt offensichtlich etwas zu früh“.
Die Bundesregierung habe „dem Treiben der milliardenschweren Steuervermeidung durch Großunternehmen jahrelang tatenlos zugesehen“, kritisiert Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europaparlament. „Bund, Ländern und Kommunen ging dadurch ein hoher Milliardenbetrag verloren.“
Kodexgruppe ohne rechtliche Verbindlichkeit
Immerhin scheint Berlin jetzt bereit, in der Kodexgruppe energischer auf Maßnahmen gegen das ruinöse Steuerdumping zu drängen. So haben sich die Deutschen dafür eingesetzt, dass die Gruppe sich mit dem Thema Mindeststeuerung befasst. Das ist bislang tabu: Als potenziell schädlich gilt nur eine Besteuerung, die den Regelsatz des betreffenden Mitgliedslandes „signifikant“ unterschreitet. Wenn etwa Irland von Körperschaften ohnehin nur 12,5 Prozent verlangt, ist auch ein noch niedrigerer Minimalsatz in Ordnung.
Besserung ist nicht absehbar. Die Kodexgruppe ist nur für politische Absprachen ohne rechtliche Verbindlichkeit zuständig. Die müssen einstimmig gefasst werden. Doch Irland, Malta und Zypern sperren sich. Der deutsche Bericht über die Sitzung der Finanzminister im Dezember vermerkt das schlichte Argument der Widerspenstigen: „Hier gehe es um die Steuersouveränität der Mitgliedsstaaten.“
„Die schwarz-rote Bundesregierung blockiert bei der Steuertransparenz weiter“, meint Giegold. „Sie will für die Öffentlichkeit weiter im Dunkeln lassen, welcher Konzern in welchem Land wie viel bezahlt.“ Dies sei ein Geschenk für Google, Amazon & Co.