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Willi Wülbecks Lebens-Lauf

Willi Wülbecks Lebens-Lauf

Oberhausen. 

Als Willi Wülbeck auf der Centro-Promenade in Oberhausen seine Leberknödelsuppe löffelt, wirft der eine oder andere einen Blick hinüber zum Tisch. Vor 30 Jahren wäre es völlig klar gewesen: Das kann kein Zufall sein. Spätestens nach dem 9. August 1983 gab es keinen bekannteren Oberhausener mehr als Wülbeck. Bei der ersten Weltmeisterschaft der Leichtathletik-Geschichte ließ der damals 28-Jährige die Favoriten stehen und stürmte über 800 Meter zum Gold. „Wir liefen aufgereiht wie auf einer Perlenkette“, erinnert sich Wülbeck, „ich bin wie ein Düsenjäger auf die Zielgerade gekommen und habe den Nachbrenner eingeschaltet. Es war das Rennen meines Lebens, ganz einfach ein Bilderbuchlauf.“

Zum 30. Jahrestag seines größten sportlichen Erlebnisses will Wülbeck einige frühere Weggefährten einladen. Man wird Anekdoten austauschen und sich auch auf den Start der Leichtathletik-Weltmeisterschaften am Samstag in Moskau einstimmen. Natürlich wird Wülbeck dann das Video seines Fabelrennens in den Rekorder legen, obwohl er jeden einzelnen der 800 Meter auf seiner inneren Festplatte für immer abgespeichert hat.

Der Triumph des Willi Wülbeck kam damals alles andere als erwartet. Nur der Oberhausener selbst traute sich diesen Coup zu. „Ich habe in mir gespürt, da geht was“, erzählt er, „ich wusste, wenn du alles aus dir heraus holst, dann kannst du es packen.“ Viele hatten Wülbeck abgeschrieben. 1982 musste er bei den Europameisterschaften eine bittere Niederlage hinnehmen. Statt die erhoffte Medaille zu gewinnen, kam er nur als Achter ins Ziel und musste zuschauen, wie sein deutscher Teamkollege Hans-Peter Ferner als Europameister gefeiert wurde. „Das war eine Schmach für mich. Eine Demütigung, ein sportliches Erdbeben“, gibt Wülbeck zu, „den Hans-Peter habe ich doch immer besiegt.“

Und das schaffte er auch 1983 ein weiteres Mal, als er den Ingolstädter bei den Deutschen Meisterschaften im Endspurt abfing. Es war für Wülbeck der zehnte Meistertitel in Folge. Eine Wahnsinnsleistung für einen Läufer. Die Leichtathletik-Fans wollten ihren Willi gar nicht mehr von der Bahn lassen. „Damals hatte die Leichtathletik noch einen viel höheren Stellenwert“, sagt Wülbeck, „ich hatte einen Sympathie-Bonus. Mein Name war eine wunderbare Vorlage. Willi Wülbeck – das klingt im Ohr. Aber es lag auch an mir: Wenn ich arrogant gewesen wäre, hätte es keine Willi-Rufe gegeben.“

Wülbecks Gold-Lauf von 1983 in Helsinki war nicht nur ein taktischer Geniestreich, sondern auch eine läuferische Glanzleistung. Seine damalige Siegerzeit von 1:43,65 Minuten wird bis heute als Deutscher Rekord über 800 Meter geführt. Ob Europameister Hans-Peter Ferner oder Nils Schumann, der Olympiasieger von 2000 in Sydney: Alle jagten sie Wülbecks Rekordmarke ohne Erfolg. „Auf diese Zeit bin ich auch heute noch stolz“, gibt er zu, „der Rekord ist Willi Wülbeck – und Willi Wülbeck ist der Rekord.“ Auch wenn es vielleicht den Anschein haben könnte: Wenn Wülbeck diese Worte sagt, ist nicht die kleinste Spur von Arroganz herauszuhören. Willi Wülbeck, der „Bürger des Ruhrgebiets“, ist ein bodenständiger Typ, der weiß, wo er herkommt. Abgehoben hat er nie.

Und so schmerzt es ihn immer noch sehr, dass sein Name vor einigen Jahren einmal nicht durch Titel oder Rekorde in die Schlagzeilen geriet. Damals hieß es, Wülbeck habe beim Mehrkampf-Meeting in Ratingen Geld veruntreut. „Rechtlich war ich immer auf der grünen Seite. Alle Vorwürfe haben sich im Nichts aufgelöst“, sagt er, „aber es hing an mir dran. Es war keine schöne Zeit.“

Inzwischen geht es dem 58-jährigen Wülbeck wieder besser. Er leitet Sport-Kurse in Mülheim, Duisburg und Oberhausen, er betreut für den Energiekonzern RWE ein Schulstaffel-Projekt. Riesige Reichtümer konnte Wülbeck nicht anhäufen, „aber ich habe schon früh zwei Mietshäuser gekauft. Das ist sozusagen meine Altersvorsorge.“ Natürlich zieht er auch regelmäßig noch seine Laufschuhe an.

Welche Zeit hat er denn 30 Jahre nach seinem historischen Lauf von Helsinki noch drauf? „Jedenfalls keine 1:43“, antwortet er, „vielleicht 2:43 Minuten. Aber die Hauptsache ist doch, ich fühle mich gut dabei.“