2014 die Fußball-Weltmeisterschaft, 2016 die Olympischen Sommerspiele: Rio de Janeiro wird in den kommenden Jahren zur Welthauptstadt des Sports. Derzeit aber gibt es etliche Probleme. Einige Stadien sind noch nicht fertig − und in den Armenvierteln herrscht Gewalt.
Rio de Janeiro.
Die Sonne strahlt, aber Carlos Silva klingt bewölkt. Das Geschäft mit den Kokosnüssen läuft schlecht. Carlos Silva hat eine Bretterbude mit gelben Sonnenschirmen und einer Menge Plastikstühlen auf dem Bürgersteig aufgebaut. Davor erstreckt sich der Strand der Copacabana, dahinter die sechsspurige Straße, die nach Rio de Janeiro hineinführt. Hält man sich die Ohren zu und schaut in Richtung Atlantik, ist es Romantik. Nimmt man die Hände von den Ohren, brummt es wie von einem live übertragenen Rasierapparat.
Eine Kokosnuss kostet vier brasilianische Real, umgerechnet zwei Euro. Nur wenige kaufen und lassen sich die Kokosnuss aus dem Kühlschrank sofort mit einer Machete öffnen, um die eiskalte Milch zu trinken. „Im nächsten Jahr wird das Geschäft besser“, sagt Carlos Silva. Dann ist die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, 2016 folgen die Olympischen Sommerspiele. Rio wird in den kommenden Jahren zur Welthauptstadt des Sports.
Deshalb ist auch Franz Beckenbauer zu Besuch. Morgens um halb zehn ist es schon 34 Grad heiß. Inoffiziell stöhnt Beckenbauer: „Ich habe noch nirgendwo so oft geduscht wie hier.“ Offiziell sagt er: „Brasilien ist Fußball, das ganze Land ist Fußball.“ Nichts gegen die Europameisterschaften in der Schweiz und Österreich (2008) und in Polen und der Ukraine (2012) oder gegen die WM in Südafrika (2010), doch 2014 kommt der Fußball nach Hause.
Die Fußball-Schule am Strand
Selbst am Strand hinter der Kokosnussbude gibt es eine Fußball-Schule. Ein paar Italiener sind da und versuchen, die zugeworfenen Bälle brasilianisch anzunehmen. Es sieht eher holzfußmäßig aus, die Bälle verspringen, und die Lehrer fischen die Abpraller mit den Füßen aus der Luft, als hätten sie Saugnäpfe an den Zehen. Man weiß nicht ganz genau, wohin man schauen soll. Fußball-Schule oder Bikini-Mode an der Copacapana.
Bevor die Mittagshitze mörderisch wird, rumpelt der Linienbus durch das Verkehrsgewühl – Brasilianer lieben Hupen und Gaspedal – zum Maracana-Stadion. Das „Maracana“ war einmal das größte Fußball-Stadion der Welt. 1950, bei der ersten WM in Brasilien, sahen 199 854 Zuschauer die 1:2-Niederlage der Gastgeber gegen Uruguay. Der WM-Titel war weg, eine nationale Katastrophe.
Später kam Papst Johannes Paul zu Besuch ins Stadion, die Rolling Stones traten dort auf, und nun lassen die Brasilianer die Arena umbauen für die WM 2014. Dreimal mussten sie den Eröffnungstermin bereits verschieben. Am Eingangstor 18 führt eine Tür ins Museum des Stadions. 79 378 Plätze sollen entstehen, es wird 60 Bars geben und eine Bronzestatue von Pele. Nur: Fertig ist das Stadion noch nicht. „Machen Sie sich mal keine Sorgen“, beruhigt Andre Lazaroni.
Zwölf Städte, zwölf WM-Stadien
Lazaroni ist als Staatssekretär des Bundesstaates Rio de Janeiro für den Sport in der Stadt zuständig. Er hat sein eigenes Haus renovieren lassen, und genau davon erzählt er: „Es sollte 30 Tage dauern, hat der Bauleiter versprochen. Es wurden 90 Tage. Und genauso wird es mit dem Umbau von Maracana sein. Glauben Sie mir: Am 27. April ist das Stadion fertig.“
Ursprünglich sollte die Renovierung 222 Millionen Euro kosten, nun sollen die Baukosten am Ende 370 Millionen Euro betragen. Lazaroni lächelt. Er ist Brasilianer, nicht Sparsilianer. Zum Vergleich: Die neue Arena in München hat 340 Millionen Euro gekostet.
Insgesamt wird es zwölf WM-Stadien in zwölf Städten geben. Einige Arenen sind fertig, andere noch nicht. Doch an dieser Stelle springt Beckenbauer Lazaroni zur Seite: „Ich bin sicher, die Brasilianer kriegen alles pünktlich hin.“
Doch die Stadien sind nicht das einzige Problem. Die Avenida Brasil führt vom Flughafen ins Zentrum Rios und durchquert dabei zwei Favelas. In den Armenvierteln herrscht die Gewalt. Vor einer Woche rückte die Polizei über die Avenida Brasil mit einer Einsatzstärke an, die reichen würde, um Staaten wie Liechtenstein zu verteidigen. 1800 Polizisten in kugelsicheren Westen räumten im Complexo do Caju auf. Sie beschlagnahmten 400 Kilogramm Kokain, 100 Kilogramm Marihuana und entdeckten die Microondas – die Mikrowelle. Eine Feuerstelle, auf der die Banden-Chefs angeblich ihre Widersacher verbrannt hatten.
„Als Tourist verirren Sie sich besser nicht in so eine Gegend“, rät Elsa Dantas. Sie wohnt seit 20 Jahren in Deutschland und besucht gerade ihre Mutter in Rio. Ihr Haus ist eingezäunt mit Eisenstäben, dick wie bei einem Elefantengehege. So wie die meisten Häuser in Rio. Dantas Vater war Architekt. „Er hätte einen Wassergraben ums Haus bauen sollen“, findet Elsa. „Mit Krokodilen drin, dann hätte meine Mutter nachts wenigstens ihre Ruhe.“
Im Fernsehen: Fußball satt
Zurück bei Carlos an der Kokosnussbude. Im Fernseher, den er auf der Theke aufgebaut hat, läuft Fußball. Er schaltet mit der Fernbedienung durch die Programme. Sechs Kanäle zeigen sechs unterschiedliche Spiele live, in der Fußballschule am Strand geben sie nicht auf und üben barfuß den Rückpass mit der Fuß-Innenseite, die Bikinimode bleibt interessant, und die Kokosmilch ist immer noch eiskalt. Es gibt schlechtere Plätze auf dieser Welt. Nur Franz Beckenbauer geht. Er möchte wieder unter die Dusche.