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Tischtennis-Ass Ovtcharov: „Bronze haben wir böse gefeiert“

Tischtennis-Ass Ovtcharov: „Bronze haben wir böse gefeiert“

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Dimitrij Ovtcharov GER warming up during preliminaries of 2016 European Table tennis Tischtennis C Foto: imago
Dimitrij Ovtcharov startet bei der Tischtennis-EM in Budapest als Titelverteidiger. Er spricht über Rio, seine Tochter Emma und einen Tour-Boykott.

Düsseldorf. 

Dimtrij Ovtcharov bestellt einen doppelten Espresso. Er gähnt. Deutschlands derzeit bester Tischtennisspieler ist müde – aber glücklich. Nach dem Olympia-Bronze mit der Mannschaft in Rio wurde seine Tochter Emma geboren. Heute greift der 28-jährige Titelverteidiger bei der Europameisterschaft in Budapest an. Es geht um die Titelverteidigung im Einzel.

Herr Ovtcharov, Sie sind gerade Vater einer Tochter geworden: Herzlichen Glückwusch!

Dimitrij Ovtcharov: Danke. Ja, es ist fantastisch.

Hat sich durch die Vaterschaft etwas bei Ihnen verändert?

Ovtcharov: Es macht einen irgendwie reifer. Man hat jetzt mehr Verantwortung. Man sieht sich auch selber in dem Kind und will ihm nur das Allerbeste. Ja, man hat einfach mehr Verantwortung für die ganze Familie.

In der Familie ist diese Rolle für Sie neu. In der Nationalmannschaft haben Sie schon längst mehr Verantwortung übernommen.

Ovtcharov: Ja, am Anfang war Timo immer sehr präsent. Sowohl spielerisch, als auch als Mensch und Leader hat er auch mich wachsen lassen. In den letzten Jahren war er jetzt auch immer mal wieder nicht mit dabei. Und ich hab diese neue Rolle immer mehr angenommen. Und versucht, das Team gut zu leiten, sodass die Mannschaft so viel Erfolg wie möglich hat. So lange wir noch keine jungen Topspieler haben, versuchen wir, die Stange hochzuhalten.

Vor Olympia haben Sie und Timo Boll sich zu vielen Themen kritisch geäußert: Zu den schlechten Hallenbedingungen bei World-Tour-Turnieren, zur Qualität der neuen Plastikbälle und zur Nachbehandlung von Belägen. Hat sich seitdem etwas getan?

Ovtcharov: Man hört bestenfalls nur: Wir sind dran. Das ist das Maximale. Oft hört man aber auch einfach gar nichts.

Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?

Ovtcharov: Das ist schwierig. Wir müssen uns überlegen, wie es weitergehen kann, wenn sich nichts verbessert.

Was wären Maßnahmen?

Ovtcharov: Wenn wir Spieler eine ATP-Vereinigung wären, könnte man kurz mit dem Vorsitzenden sprechen und sagen: Jungs, wir wollen die und die Änderung, wenn die nicht kommt, setzen wir aus. Problem ist: Wir haben nichts zu sagen, weil die Verbände alles zu sagen haben. Wir können uns ja nicht mal bei einem Turnier anmelden, das läuft alles über den Verband. Und dadurch sind den meisten Spielern – vielleicht jetzt nicht Timo oder mir – die Hände gebunden. Aber vielleicht können die großen unabhängigen Sportler ein Ausrufezeichen setzen.

Ein Boykott ist aber nicht geplant?

Ovtcharov: Alles ist möglich. Aber aktuell noch nicht. Wenn es nicht besser wird, müssen Spieler wie Timo, Jun Mizutani und ich sich mal zusammensetzen und philosophieren, wie es weitergehen kann.

Ovtcharov: „Ein bisschen Golf ins Tischtennis bringen“ 

Um einen Sport gut zu verkaufen, braucht man Typen. Timo Boll beschreibt sich als fairen Sportsmann. Wie sehen Sie Ihr Image?

Ovtcharov: Ich glaube, ich bin sehr authentisch. Wenn ich mit Leuten spreche, die was zu sagen habe, nehme ich auch kein Blatt vor den Mund, auch wenn es nicht so angenehm ist. Timo versucht oft, eine sehr diplomatische Lösung für alle zu finden. Am Ende bin ich so, wie ich bin. Entweder man mag mich oder nicht. Ich gebe mein Bestes, ich kämpfe, ich trainiere hart, ich liebe diesen Sport und würde ihm gerne so viel zurückgeben, wie ich kann.

Ist das der Grund, warum Sie auch in Sozialen Medien so offen mit der Geburt Ihrer Tochter umgegangen sind?

Ovtcharov: Auch wenn ich versucht habe, wenig über die Schwangerschaft meiner Frau zu reden, haben es eh alle gewusst. Ich meine, es ist ja auch ein schönes Mädchen, und ich bin ganz stolz und deswegen fand ich es auch schön, das mit all meinen Fans und Freunden zu teilen, dass ich jetzt stolzer Papa bin.

Sie sprachen auch offen über den Tod Ihrer Großmutter, der Sie vor dem World Cup in Saarbrücken so schwer getroffen hat, dass Sie völlig neben sich wirkten.

Ovtcharov: Über den Tod meiner Oma habe ich mir viele Gedanken gemacht. Aber natürlich fangen dann viele Diskussionen an, warum ich so schlecht gespielt habe oder meinen Kampfgeist habe vermissen lassen. Aber am Ende war meine Oma auch eine ganz offene Person, und ich glaube, sie hätte sich gefreut, wenn ich gesagt hätte, dass ich sie gern habe. Da habe ich jetzt auch nichts Negatives gesehen, das zu teilen. Ich fand das einfach offen, ehrlich und auch authentisch. Da kann man jetzt sicher seine Meinung zu haben, aber ich finde, ich tue damit keinem weh.

Authentisch war auch Ihr Jubel beim EM-Sieg 2015. Sie zogen Ihr T-Shirt aus, sprangen aufs Podium und feierten Ihren Einzelsieg.

Ovtcharov: Ja, da habe ich mir vorher schon Gedanken gemacht, was ich da Feines machen kann. (lacht) Das war eine schöne Erinnerung, ein schöner Erfolg.

Und es waren super Fotos…

Ovtcharov: Ja, absolut. Sonst ist das bei uns immer das Gleiche und in anderen Sportarten gehen die Leute immer mehr aus sich heraus. Aber ich wollte jetzt auch nichts Unnatürliches mache. So hat sich das gut angefühlt für mich. Und am Ende ist mir das auch egal, wie das angekommen ist. Da kann sich jeder seine Meinung zu bilden.

Bei Olympia haben Sie im Mannschafts-Wettbewerb den imaginären Hut gezogen.

Ovtcharov: Ja (lacht).

Sehen wir den in Budapest wieder, sollten Sie Ihren Titel verteidigen?

Ovtcharov: Das glaube ich nicht.

Was hat es mit der Geste auf sich?

Ovtcharov: Ich war nach dem Viertelfinal-Aus sehr enttäuscht. Da habe ich auch eine Auszeit von drei Tagen gemacht und mal ein Bier getrunken, um einfach auf andere Gedanken zu kommen. Und dann bin ich mit Timo und Jörg Roßkopf zum Golf gegangen. Ich fand das ganz beeindruckend, wenn sie einen tollen Ball gespielt haben, alle applaudierten und die Spieler dann immer ihren Hut angehoben haben. Da habe ich gedacht: Bringen wir mal ein bisschen Golf ins Tischtennis. Ich habe das dann einmal gemacht, es lief dann gut und habe es durchgezogen. Damit hat sich das dann aber auch erledigt. Ein olympischer Moment sozusagen.

Ovtcharov: „Die Vormachtstellung in Europa möchte ich so schnell nicht verlieren“ 

Um noch einmal auf das Thema Image zurück zu kommen: Tischtennis-Spieler gelten nicht gerade als Draufgänger. Wie wird bei Ihnen Olympia-Bronze gefeiert? Anstoßen mit einem Glas Milch?

Ovtcharov: Nee, nee, haben wir schon böse gefeiert. Wir waren im Deutschen Haus, wollten dann irgendwann um fünf zurück. Da ging aber nichts mehr. Und um acht Uhr morgens hatten wir schon eine Pressekonferenz. Am Ende haben Timo und ich zusammen auf einer Couch geschlafen. Und eine Stunde später, war dann die ARD schon da. Das war schon hart.

Nach Olympia und dem Vater-werden wirkt eine EM so klein.

Ovtcharov: Das stimmt.

Wie können Sie sich dann für das Turnier motivieren?

Ovtcharov: Olympia ist natürlich wichtiger, und privates Glück mit so einem Kind ist natürlich noch viel, viel wichtiger. Aber eine EM ist trotzdem sehr, sehr groß und eines der Hauptturniere, die mich auch groß gemacht haben. Und diese Vormachtstellung in Europa möchte ich auch so schnell nicht verlieren, so präsent wie möglich sein. Nach Olympia und Einzel-WM ist das für mich das drittgrößte Turnier, das wir haben. Deswegen ist es keine Motivationsfrage, dass man da alles geben wird.

Ein Kind soll einen ja auch noch gelassener machen. Bekommen Sie denn eigentlich noch genug Schlaf?

Ovtcharov: Ja, ich schlafe nicht so schlecht. Die Kleine schläft wirklich gut, aber wacht natürlich alle zwei, drei Stunden auf und will gefüttert werden. Aber das gehört dazu. Und die ganzen Glücksgefühle, die man dabei hat, übertreffen das bei Weitem. Meine Frau schläft sicherlich weniger als ich.

Muss man da als Familienunternehmen denken?

Ovtcharov: Sozusagen, ja. Das wurde gar nicht groß diskutiert bei uns, das macht die Jenny einfach super. Und ich helfe, wo ich kann, und hoffe, sie ist damit zufrieden. (lacht)

Spielt sie eigentlich auch noch Tischtennis?

Ovtcharov: Sie war ja schwedische Nationalspielerin, und hat dann irgendwann aufgehört. Weil es als Frau, und gerade wenn man in Deutschland nicht sowas wie eine Bundeswehr hat, doch finanziell sehr schwer ist. Dann hat sie zum Spaß wieder ein bisschen angefangen. Ob sie nach der Geburt nun bald wieder beginnt oder nicht, das weiß ich gar nicht.

Also sehen wir Sie beide nicht bei der WM 2017 in Düsseldorf im Mixed?

Ovtcharov: Wahrscheinlich nicht. (lacht) Aber sie hat gesagt, das wäre mal witzig. Aber sie wäre wahrscheinlich viel zu enttäuscht, wenn sie mal einen Ball nicht trifft. Sie ist da sehr perfektionistisch.