Vor einem Jahr ist Stabhochspringerin Kira Grünberg im Training verunglückt und seitdem querschnittsgelähmt. Heute freut sie sich über kleine Dinge, wie alleine Zähne putzen zu können.
Essen.
Anlaufen, abheben, dann den Moment genießen, den freien Fall. Das war der Grund, warum Kira Grünberg sich für Stabhochsprung entschieden hat. „Schwerelosigkeit war ein tolles Gefühl“, sagt sie – und spricht aus Erfahrungen, die sie so nie wieder machen können wird. Es war der 30. Juli 2015, als der liebe Gott einen Augenblick lang nicht aufgepasst hat. Bei einem Trainingssprung fehlte Grünberg der Schwung im Anlauf. Sie ging zwar hoch, landete aber nicht vorne auf der weichen Matte, sondern stürzte zurück, schlug aus vier Metern Höhe im harten Einstichkasten auf. Mit der bitteren Diagnose hatte sie schon gerechnet, als sie regungslos, aber bei vollem Bewusstsein in der Sporthalle in Innsbruck am Boden lag und auf den Rettungsdienst wartete: Querschnittslähmung, sie hatte sich den fünften Halswirbel zertrümmert.
Eigentlich wollte sie zu den Olympischen Spielen
In diesen Tagen jährt sich der Unfall zum ersten Mal. Zwangsläufig wird sich Kira Grünberg also wieder damit beschäftigen müssen. Eigentlich wollte sie in diesen Tagen ihr größtes sportliches Erlebnis starten, die Olympischen Spiele. Alles war darauf ausgerichtet. Mit übersprungenen 4,45 Metern, dem österreichischen Rekord, hätte die 22-Jährige gute Chancen gehabt, sich für Rio zu qualifizieren. Hätte, wenn und aber – seit einem Jahr läuft vieles nicht mehr so, wie es geplant war. Sie sitzt nicht im Flieger, sie sitzt im Rollstuhl.
„Ich vermisse aus meinem früheren Leben gar nicht so viel, wie alle glauben. Es ist jetzt ein anderes Leben, aber genauso schön.“ Kira Grünbergs Stimme klingt wie ein Bächlein in ihrer bergigen Tiroler Heimat. Mild und klar. Wenn sie über ihr Schicksal erzählt, dann tut sie das, ohne in Emotionen zu versinken. Schnell wirkte die junge Frau nach dem Unfall so gefasst es eben ging. Dabei haben ihr auch Therapeuten geholfen. Als sie sich drei Monate danach erstmals öffentlich zeigte, schien das Publikum bei der Gala zu „Österreichs Sportlern des Jahres 2015“ vor Rührseligkeit überzusprudeln. Ovationen, Tränen. Doch dann rollte Kira Grünberg, mit einem glitzernden Abendkleid bekleidet, in ihrem Rollstuhl auf die Bühne und gab dem Ganzen mit einem Lächeln die Leichtigkeit zurück.
Sie ist es gewohnt, Blicke auf sich zu ziehen. Das war schon früher nicht nur wegen ihres sportlichen Erfolges so. Mit ihren langen blonden Haaren, den wachen blauen Augen und ihrer entspannten Art ist sie seit Jahren eine gefragte Gesprächspartnerin. Der Unfall, so bitter das klingt, hat sie noch populärer gemacht. Es kamen Anfragen aus 60 Ländern, sie hat nicht alle angenommen, „aber Interviews und Fotoshootings sind schon eine willkommene Abwechslung“, sagt Österreichs Leichtathletin des Jahres 2014 im Gespräch mit dieser Zeitung. Sie will anderen Gelähmten Mut machen. Solchen, die kein so großes Kämpferherz wie sie haben. Dazu bietet sie auch Vorträge zum Thema Motivation an. Ihr Manager Thomas Herzog hat sie dazu ermutigt, weil er erkannt hat, dass sie authentisch rüberkomme.
Ihr Elternhaus wurde umgebaut
Kira Grünberg mag es, gestylt und geschminkt zu werden. Selbst kann sie das nur noch in einem sehr begrenzten Umfang tun, so wie viele Dinge des Alltags. Vom Hals abwärts ist sie gelähmt, ihre Hände und Arme kann sie inzwischen wieder etwas bewegen. Heute jagt sie nicht mehr Medaillen hinterher, sie freut sich über andere Erfolge: „Alleine die Zähne putzen zu können, Gemüse zu schneiden oder – das war mir wichtig – die Nägel zu lackieren.“ Gerade trainiert sie, es ohne fremde Hilfe vom Bett in den Rollstuhl zu schaffen.
Ihr Elternhaus in Kematen bei Innsbruck ist behindertengerecht umgebaut worden. Mit Lift, Therapiezimmer und einem barrierefreien Bad. Mutter Karin war ein Jahr aus dem Beruf, um ihre Tochter zu unterstützen. Jetzt wird sie wieder arbeiten gehen, Therapiehund Balu soll neu in die Familie kommen. Kira Grünberg pflegt besonders die positiven Gedanken: „Ich bin dankbarer geworden.“ Einen großen Wunsch hat sie aber: Einmal mit Delfinen zu schwimmen.
In ihren Träumen sieht sie sich meistens als Gehende, ohne Rollstuhl. Sie erinnert sich an damals. Als Schwerelosigkeit ein tolles Gefühl war.