Mit 16 Jahren gewann die Hochspringerin 1972 Olympia-Gold. Mittwoch feiert sie ihren 60. Geburtstag. Auf die Leichtathletik blickt sie kritisch.
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Der Sport ist immer noch ein wichtiger Teil ihres Lebens. Ulrike Nasse-Meyfarth, die am Mittwoch ihren 60. Geburtstag feiert, hält sich mit Joggen und Fahrradfahren fit. Nur eines kann sie sich überhaupt nicht vorstellen: noch einmal über die Hochsprunglatte zu floppen. Wie sie es viele, viele Jahre getan hat. Wie sie ganz Deutschland sowie die gesamte Leichtathletik-Welt 1972 bei den Olympischen Spielen in München und dann noch einmal zwölf Jahre später in Los Angeles mit ihren goldenen Sprüngen in den Bann gezogen hat. „Nein, noch einmal über eine Latte zu springen, das reizt mich überhaupt nicht“, sagt sie. „Es wäre auch gefährlich. Die Bewegung ist für immer in meinem Kleinhirn abgespeichert, doch weil ich nicht mehr die Kraft von früher habe, würde ich mir die Muskeln oder Knochen kaputt machen.“ An ihren letzten Versuch im Hochsprung kann sie sich kaum noch erinnern: „Das muss 1985 oder 1986 gewesen sein.“
Ulrike Nasse-Meyfarth, wie sie seit ihrer Heirat 1987 mit dem Rechtsanwalt Roland Nasse heißt, ist der Leichtathletik eng verbunden geblieben. Als Trainerin kümmert sie sich um den Nachwuchs ihres Vereins TSV Bayer 04 Leverkusen. Mit viel Spaß auf beiden Seiten. Ob eine neue Ulrike Meyfarth dabei ist, muss sich noch zeigen.
Hochsprung fehlt die Galionsfigur
Gebrauchen könnte die deutsche Leichtathletik eine Top-Hochspringerin, denn „im Moment hat der Hochsprung bei uns ein wenig schlapp gemacht“, wie es die Mutter der 27-jährigen Alexandra und der 23-jährigen Antonia ausdrückt. Vor vier Jahren zog es die Familie noch vor Ort zu den Olympischen Spielen nach London. Die Spiele in Rio vom 5. bis 21. August wird sie wegen der weiten Reise nur vor dem Fernseher verfolgen. Die Faszination der Leichtathletik sitzt für immer tief in ihr. Doch trotzdem ist ihr Blick auf die Königin der olympischen Sportarten, wie die Leichtathletik genannt wird, nicht verklärt. Im Gegenteil: Bei aller Liebe zu ihrem Sport sieht sie auch die Schattenseiten.
Was unter Lamine Diack, dem früheren Präsidenten des Welt-Leichtathletik-Verbandes, passiert ist, macht sie wütend. „Dopingtests sind manipuliert worden, es herrschte Vetternwirtschaft und Korruption. Das ist eine große Schande“, sagt sie. „Ich habe auch große Zweifel, dass Diacks Nachfolger Sebastian Coe jetzt den Laden richtig aufräumen wird.“ Wenn es nach ihr geht, würden die russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio ausgesperrt: „Das wäre ein gutes Zeichen. Wir brauchen funktionierende Anti-Doping-Systeme in allen Ländern.“
Ulrike Nasse-Meyfarth hat im vergangenen Jahr sogar wegen der Vielzahl an Skandalen die Aufnahme in die Hall of Fame der IAAF abgelehnt. Verdient hätte sie einen Platz in der Ruhmeshalle wie kaum eine andere. Ulrike Meyfarth wurde 1972 bei den Olympischen Spielen von einer Minute zur anderen von einer völlig unbekannten Schülerin aus Wesseling zum Wunderkind, zur Goldspringerin. Angereist als Außenseiterin wuchs sie über sich hinaus, bezwang mit ihrer jugendlichen Lockerheit die Konkurrenz und stellte mit 1,92 Metern den Weltrekord ein.
Sieg wurde zum Trauma
Das Sportmärchen der Ulrike Meyfarth nahm jedoch nicht seinen geraden Verlauf. Es war nicht einfach für sie, dieses unverhoffte Gold von 1972 zu verarbeiten. Der Sieg wurde zum Trauma, der nicht beflügelte, sondern lähmte. Aber zwölf Jahre später krönte sie als gereifte Sportlerin ihre Karriere. 1984 gewann sie in Los Angeles mit 2,02 Metern ein zweites Mal Olympia-Gold. „Der Sieg 1972 ist mir zugefallen. Das Gold von 1984 habe ich mir erarbeitet“, sagt Ulrike Nasse-Meyfarth, die ihren 60. Geburtstag im kleinen Familienkreis feiern wird.