Fast 1,90 Meter groß, mehr als 80 Kilo schwer – da tun die Steigungen weh. Radprofi Marcel Kittel glänzt bei der Tour de France bei den Sprints, aber jetzt fürchtet er die Berge. Für den 26 Jahre alten Thüringer geht es daher vor allem um eines: bloß nicht endgültig vom Sattel abzusteigen.
Oyonnax.
Die Haare wie immer schön, ein strahlendes Lächeln und immer noch ein paar Sekunden für ein Foto mit den Fans. Wer Marcel Kittel gestern kurz vor Mittag bei der Einschreibung vor der Etappe nach Oyonnax im Zentrum von Besançon beobachtet hat, sah auf den ersten Blick einen urlaubsbraunen Mann auf einer scheinbar völlig entspannten Mission.
In Wahrheit ist der dreifache Etappensieger gerade auf dem Weg „in den Tunnel“, wie er sagt. Also weit weg von der hektischen, lärmenden Welt der Tour, die gestern wieder bei allerbestem Wetter durch das Jura tobte, und hin zu einer tiefen Konzentration auf das Wesentliche. Auch wenn man ihm das nicht ansieht – für Deutschlands Rad-Sunny geht es in den nächsten Tagen schlicht darum, nicht aus dem Gesamt-Klassement zu fallen.
Die Tour rollt langsam Richtung Hochgebirge, ein Terrain, das Kittel mag wie Wadenkrämpfe. Gestern allerdings noch nicht, die kurzen Anstiege kurz vor Bourg en Bresse waren nicht wirklich dazu geeignet, dem Top-Sprinter echte Problem zu machen, auch wenn er mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun hatte. Heute wird das auf dem Weg nach St. Etienne ähnlich sein, aber am Freitag wird es dann mit dem fast 19 Kilometer langen Schlussanstieg hinauf nach Chamrousse im Großraum Grenoble richtig zäh.
Vor allem für einen wie Marcel Kittel, einen Sprinter, fast 1,90 Meter groß, mehr als 80 Kilo schwer. Da tun die Steigungen weh, besonders bei der Tour, wo jede Etappe gefahren wird, als gäbe es kein Morgen. Aber der Thüringer mit der schwungvollen Tolle strahlt auf dem Weg in die Alpen, schreibt am Start Autogramme und wirkt aufgeräumt und tiefenentspannt. Könnte er auch sein – drei Siege, einen Tag im Gelben Trikot, der 26-jährige Thüringer hat sein sportliches Soll bereits mehr als erfüllt. Aber der noch lange Weg nach Paris wird für den freundlichen Hünen nicht nur zum Schaulaufen. Die Berge werden ihn heftig fordern. Trotzdem: „Marcääl“ hier, ein Selfie da, die Franzosen mögen den Deutschen und umlagern ihn an Start und Ziel – und der „fühlt sich ein bisschen wie in einem Traum“.
Das ist ein Zitat aus dem Fußball, wobei Kittel nach dem Finalsieg der Fußballer sich vier Sterne über seine Startnummer 101 ans Trikot gepinnt hat. „Wir sollten abends eigentlich früher schlafen – aber das habe ich natürlich gesehen“, sagt Kittel, „die Mannschaft ist ein Wahnsinn.“ So könnte man seine Fähigkeiten auch beschreiben – Kittel ist derzeit der Sprinter mit dem härtesten Tritt auf der Welt, da ändert auch das frühe Ausscheiden von Mark Cavendish nichts. Kittel hat schon in der Jugend bei kleinen Rennen mit Hilfe seiner Kumpels die Sprintwertungen abgeräumt, der harte Antritt ist seine Welt und es ist mehr als ein Gerücht, dass er kurzzeitig 1900 Watt treten kann, auch wenn er es relativiert. „Da war ich ausgeruht, das geht am Ende einer langen Etappe nicht.“
Gefängnis für Doping-Händler
Aber von jetzt an wird ihm seine brutale Tritthärte im Sprint für die Berge nichts nützen. „Motivierend sind die Berge natürlich nicht“, sagt Kittel lachend, „aber wenn es weh tut, denke ich an die Schlussetappe in Paris. Das hilft.“
Auf den Champs Elysées hat er vor einem Jahr als erster Deutscher das Tour-Finale gewonnen. Das hat er auch am 27. Juli vor – wenn er die Berge schafft. „Es gibt zum Glück noch ein paar im Feld, die noch schlechter den Berg hochkommen als ich“, sagt er, wobei seine Probleme am Berg von einigen auch als Beleg gewertet, dass die neue Generation der Radsportler sauber unterwegs ist. Allerdings waren auch in Hochdopingzeiten Sprinter keine Bergziegen, Kittel bezieht eine deutliche Anti-Doping-Position, fordert sogar Gefängnis für die Händler. Aber auch das hat man früher schon von anderen gehört.