Demonstrationen vor den Kirchentüren, Beifall nach der Predigt, eine explosionsartig wachsende Facebookseite: Volle Kirchen, tiefe Gräben und viele Konflikte: Die Abberufung des Pfarrers spaltet die Katholiken in Emmerich
Emmerich.
Wenn es um katholische Priester und ihre Gemeinden geht, wird gern das Bild vom Hirten und seiner Herde verwendet. In Emmerich fühlt sich die Herde abrupt im Stich gelassen. Der Hirte, Pfarrer Karsten Weidisch, hat am Wochenende ein Bischofswort verlesen, in dem der Oberhirte, Felix Genn, Bischof von Münster, bekannt gibt, dass Weidisch gehen wird. Weil dieser aus gesundheitlichen Gründen darum gebeten habe. Ein 41-Jähriger Mann, der immerhin so gesund ist, dass er die Botschaft in mehreren Gottesdiensten verlesen kann.
Viele tausend Gläubige verstehen die Welt nicht mehr: Hunderte Demonstranten versammeln sich vor den Kirchentüren, es gibt minutenlangen Beifall. Eine Facebook-Gruppe, die sich für den Verbleib des 41-Jährigen einsetzt, hat binnen weniger Stunden fast 2000 Befürworter gefunden, der „Rat der Seelsorgeeinheit“, das Laiengremium kritisiert in einer Stellungnahme die Bischofsentscheidung als „unwürdig“. Weidisch habe „klare Visionen von einer lebendigen, zukunftsfähigen, katholischen Gemeinde.“
In der Tat: Wenn sich die Kirchenoberen wünschen, dass die Kirche mal wieder mehr Menschen erreichen möge, haben sie in den letzten Jahren häufig nach Emmerich geguckt. Weil die Kirchen wieder voller waren. Mit Jugendlichen, mit Familien. Das ist die frohe Botschaft von Emmerich.
Emmericher im Glauben gespalten
Doch es gibt auch eine weniger frohe Botschaft: Durch die Glaubenswelt der Katholiken in der Grenzstadt geht ein Riss, der vermutlich tiefer ist als der zwischen Evangelen und Katholiken.
Was genau in den letzten gut zweieinhalb Jahren in Emmerich geschehen ist, hängt stark davon ab, wen man befragt: Die einen schildern Weidisch als charismatischen Prediger und einfühlsamen Seelsorger, die anderen als cholerischen Einzelgänger, der auf Kritik oft harsch bis zur Beleidigung reagiert.
Sehr viel zur Erfolgsgeschichte Weidischs beigetragen hat mit Sicherheit der junge Kaplan Christian Olding, der gemeinsam mit ihm im September 2011 sein Amt antrat – in einer Seelsorgeeeinheit mit insgesamt sieben Kirchen und einer fünfstelligen Zahl von Katholiken.
Der heute 30-Jährige hat Gottesdienste zum Großereignis gemacht. Mit lila Lichtstrahlern, Filmsequenzen mit Meister Yoda aus „Krieg der Sterne“, mit Discosound, vielen englischen Slogans, Ausflügen in den Klettergarten und Rockkonzert vor der Kirchentür hat viele Jugendliche wieder für Glauben und Kirche begeistert.
Neue Formen von Kirche
Mittlerweile geht Olding mit diesen so genannten „Veni!“-Gottesdiensten gewissermaßen auf Tournee. Ist im Kino zu Gast und auch auf dem nächsten Katholikentag in Regensburg. Jetzt wird laut: In einem halben Jahr verlässt auch er die Gemeinde. Auf eigenem Wunsch, heißt es aus Münster.
Auch Weidisch hat neue Formen ausprobiert – mit guter Resonanz. Gespräche statt Predigten oder „Celebration at home“ – Messfeiern daheim. Gab es auch früher schon, hatten aber keinen englischen Titel. Doch ist der gute Hirte immer derjenige, dem die meisten Schafe nachlaufen? In einem seiner Abschiedsgottesdienste sagte Weidisch, wenn ihm einige wenige nicht folgen wollten, müsse man sich von diesen eben auch mal trennen.
Anders als der biblische gute Hirte, der den verlorenen Schafen hinterhergeht. Das ist offenbar das Gefühl der Weidisch-Kritiker: Dass da einer die Herde führt, ohne Not gut ausgebaute Pfade verlässt, um unbeirrbar seinen Kurs zu verfolgen.
Viele schildern Weidisch als einen Menschen, der mit der Messe auf Masse macht. Und mit Kritik nicht umgehen kann. „Wer so auf Beifall nach der predigt aus ist, muss damit leben, dass auch mal jemand pfeift“, sagt einer.
Der Konflikt schwelt schon länger. Weihnachten 2012 gab es erste Proteste von einer so genannten „kritischen Gruppe“, die sich nach Münster wandte mit der Bitte um Vermittlung. Ein Moderator des Bischofs, der versuchte, in der Rheinstadt die Wogen zu glätten, warf nach wenigen Monaten die Brocken hin. Danach half niemand mehr dem überforderten Hirten und seiner gespaltenen Herde. Die ist jetzt unsicher und wütend. Der Weihbischof von Xanten wird kommissarisch übernehmen. Von weit weg. Er muss brillant sein, damit sich seine Schäfchen nicht in alle Richtungen verlaufen.