Elisabeth-Krankenhaus Essen: Nachts in der Notaufnahme
Was erleben Pfleger und Ärzte nachts in einem Essener Krankenhaus? Welche Dramen spielen sich ab? Die NRZ durfte hinter die Kulissen schauen.
Essen.
Das leise Quietschen von Gummisohlen auf den langen Fluren hallt nach, wenn man die Zentrale Notaufnahme (ZNA) des Elisabeth Krankenhauses in Essen-Huttrop längst wieder verlassen hat. Und vor Augen hat man immer noch die Stahltüren, die vor den Schockräumen sanft auf- und zu-gleiten.
Dort, wo die ganze Nacht über Menschen hineingeschoben wurden, weil sie einen Unfall hatten oder einfach nur zu viel getrunken; weil es ihnen schlecht, oder sogar sehr schlecht ging. Das vorab: allen konnte geholfen werden, weil Rettungsassistenten, Ärzte, und eben Krankenpfleger und -Schwestern wie Ronny Stolberg, Laura van der Most und Esra Aker so routiniert und selbstverständlich ihren Dienst tun, als Team in dieser Nacht.
Es ist ein Freitag, 21 Uhr, Dienstbeginn. Pfleger und Schwestern tragen blaue Baumwollanzüge und Turnschuhe, die sind leise, schnell und bequem. Neun Stunden, bis sechs Uhr in der Früh, werden Ronny (31), Laura (27) und Esra (23) auf den Beinen sein, zwischendurch Tassen Kaffee halb austrinken und stehen lassen, in Käsetoasts beißen und nicht viel Zeit zum Verschnaufen haben. Laura ist skeptisch: „Es hat Geld gegeben, da könnte eine Menge los sein!“
Trotzdem mögen sie den Nachtdienst, die Arbeit im Team mit den jungen Ärzten, alle duzen sich, im gemeinsamen Sozialraum steht auf dem Tisch der Teller mit Gummibärchen und Kuchenstückchen für alle bereit, um auch die eigenen Speicher aufzufüllen.
Schnell wird es stressig: Viele Patienten, Schmerzen und Geschrei
„Nachts ist eben alles anders, auch meine Frisur“, sagt Schwester Laura, die mit einer gehörigen Portion Humor ausgestattet ist, und da piepst auch schon ihr Handy und es kommen mehrere Notfälle auf einmal, per Krankentransport, Rettungswagen, zu Fuß. Eine mittelalte Frau klagt über Schmerzen in der Brust, bei einer alten Dame gibt es einen unklaren Befund, im Hintergrund schreit ein kleines Kind. Das geht durch Mark und Bein.
Notfälle, die laut „Manchester Triage“ in sehr kurzer Zeit von einem Arzt begutachtet werden müssen. Dieses in der ZNA des Elisabeth Krankenhauses angewandte System teilt die Hilfesuchenden nach einer Skala der Symptome bereits an der Anmeldung ein – ist der Patient fit, wach und ansprechbar? Kann er alleine laufen und wie stark sind die Schmerzen? Oder bringt ihn der Rettungswagen, ist er benommen, desorientiert, hilflos? Danach richtet sich auch in der Notaufnahme seine Wartezeit.
Viele konnten früher nicht verstehen, warum sie warten müssen
Ronny und Laura können sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Notfall-Patienten unsortiert durchgereicht wurden und sie auch mal „hart angegangen“ wurden, wenn der Patient mit dem Schnitt im Fuß oder der verstauchten Hand nicht verstehen wollte, warum er nicht „zwischendurch“ mal eben drankommt, während nebenan um das Leben eines Infarkt-Patienten gerungen wurde.
Dann sind alle drei mittendrin, eine Übergabe, wie auf den Stationen, gibt es in der Notaufnahme nicht. Sie floaten rechts und links an einem vorbei, schließen EKGs an, legen Zugänge in Venen, tippen in Computer, pappen Zettel an Röhrchen mit Blut. Dr. Andrej Jureilewitsch (38) ruft aus Schockraum 2 nach Ronny, er brauche den Troponin-Wert, vereinfacht gesagt zeigt dieser eine Schädigung des Herzens an. Der Arzt aus Fritzlar erwirbt sich am Elisabeth Krankenhaus die erforderliche kardiologische Berufspraxis. Er fragt die Patientin behutsam nach ihren Gewohnheiten, kurz darauf wird sich der Herzinfarkt bei der 48-Jährigen bestätigen, gerade noch rechtzeitig entdeckt. „Sie ist nicht gut genug mit sich umgegangen“, sagt Ronny mitfühlend.
Pflegerin Esra kann nicht nur pflegen, sondern auch dolmetschen
Im kleinen Behandlungszimmer ein paar Schritte weiter kämpfen Esra, Kinderchirurgin Barbara Freitag und ein junger Vater mit einem schreienden, strampelnden Jungen. Der Vater trägt immer noch seine Paketboten-Jacke. Er spricht Türkisch und hat Glück, dass Esra Aker den Dienst mit einer Kollegin getauscht hat und nun alles übersetzen kann.
Die Mutter des Einjährigen liege selber im Krankenhaus, der Kleine hat sich an heißem Tee verbrüht, manchmal kommt alles auf einmal. Die Verletzung ist nicht schlimm, aber wie soll das ein kleines Kind verstehen, wenn es doch so weh tut.
Ablenkung ist ein funktionierendes Heilmittel bei weinenden Kindern
Verstohlen wischt der Vater sich eine Träne weg, als die Wunde verpflastert ist und der Kleine sich beruhigt. Esra nimmt ihn auf den Arm und zeigt ihm sein Spiegelbild. So was geht immer.
Es geht auf 24 Uhr zu, immer noch herrscht reger Betrieb. Ein junger Mann mit Bauchschmerzen und ausgeprägter Angst vor Spritzen entspannt sich erst, als er erfährt, dass alle Werte im Normbereich sind, er nur unter einer schmerzhaften Verstopfung leidet.
Blinddarmentzündung, Zysten, umgeknickter Fuß und eine gebrochene Hand
Eine Frau mit Verdacht auf Blinddarmentzündung hat in Wirklichkeit eine Eierstock-Zyste. Eine kleine Kampfsportlerin fährt im Rollstuhl herein, sie ist umgeknickt. Ein sportlicher Pensionär hat sich am Abend beim Fußballspielen die Hand gebrochen. „Ich dachte, man spielt mit den Füßen“, sagt Laura, während die Bruchstelle gerichtet und gegipst wird.
Und dann bringen die Rettungsassistenten den ersten betrunkenen Jugendlichen der Nacht – einige werden folgen, und alle werden in einer ähnlichen Verfassung sein.
Koma-Saufen scheint noch immer im Trend zu liegen
Lisa (15, Name geändert) ist an der Bushalte umgekippt, Freunde riefen den Rettungswagen. Ihr ist sooo schlecht, die Haare sind wirr, die Klamotten schmutzig.
Ein Promille hat sie, eine halbe Flasche Wodka intus, zum Teil ist einiges wieder herausgekommen. Laura und Esra fragen, trösten, waschen ihr Gesicht, decken sie zu. Viel mehr als die Eltern informieren, die ihr Kind abholen müssen, kann man nicht tun.
Bis zum Morgen 14 Kilometer gelaufen
Gegen zwei, drei Uhr morgens ist plötzlich alles ruhig. Die Spannung fällt ab. Der Süßigkeitenteller ist leer. Das sieht man deshalb keinem an, weil in intensiven Dienstnächten auch mal 14 Kilometer gelaufen wird, hat Ronny mit einem Schrittzähler herausgefunden. Man unterhält sich über den Job, was man alles schon erlebt hat. Messerstechereien, Prügel-Opfer, die Loveparade.
Ronny macht manches heute mehr zu schaffen als früher, als er noch nicht Vater war. Wenn er junge Patienten sterben sieht zum Beispiel, wie unlängst eine 30-Jährige und dann auch noch ein kleines Mädchen: „Dann muss man eben auch mal nach draußen gehen und heulen!“
Doch in dieser Nacht wird alles gut gehen. Der eine oder andere Patient wird sich sogar bedankt haben, bevor das Team der Nacht sich auf den Weg nach Hause macht. Dort wird Ronny mit dem Hund noch eine Runde joggen, dann seinen kleinen Sohn begrüßen und sich schlafen legen, um fit zu sein für den nächsten Nachtdienst.