Mit „Hoch auf dem gelben Wagen“ machte Dirk Tillen 1973 den damaligen Außenminister zum Popstar. Der Düsseldorfer Musikproduzent erinnert sich gerne an die Zeit. Cornelia Färber hat ihn besucht.
Düsseldorf.
Dirk Tillen erzählt, wie ein Kaskadenbrunnen sprudelt – hier ein Stichwort, sofort springt dort die nächste Anekdote auf, und im Nu fliegt die Zeit vorbei. Es ist so schön, im Café des Düsseldorfer Schlosses Benrath unter Kronleuchtern zu sitzen und die berühmten Leute vergangener Jahrzehnte Revue passieren zu lassen: die Chansonnette Juliette Gréco, den Pantomimen Marcel Marceau, Opernsänger Hermann Prey, Filmwüterich Klaus Kinski und – deshalb sind wir hier – Walter Scheel, die lebende Legende der Freien Demokraten, deutscher Außenminister, Vizekanzler und Bundespräsident, ein höchst populärer dazu. Tillen hat ihn entdeckt, den Scheel. Als Sänger. Und hat ihn zum Popstar gemacht, hoch auf dem gelben Wagen. Das waren noch Zeiten.
Schön waren sie, die 70er-Jahre, sagt Tillen, und „viel freier als heute“. Als Musikmanager habe man mal viel verdient, mal gar nichts, aber man habe einfach weitergemacht. Klaus Kinski zum Beispiel, erzählt er, „der hat uns gerettet, als wir kein Geld mehr hatten für seine Tournee. Ist ohne Gage aufgetreten.“ Und der damalige Sound erst: „Wenn ich heute so eine alte Opernplatte auflege und dieser satte Klang den Raum erfüllt, da klingt doch vieles, was heute produziert wird, dünn dagegen!“
Tillen ist am 24. Dezember 1940 geboren, „ein Kriegskind“ und wurde in Eisenach über dem Taufbecken Johann Sebastian Bachs getauft: „Das sollte doch mal ein Omen sein“, freut er sich immer noch. Nach Eisenach hatte es die rheinische Familie kriegsbedingt verschlagen und so kehrte man nach dem Krieg nach Düsseldorf zurück, wo man hingehörte.
„Es war eine Blitz-Idee“
Tillen ist seit Langem Mitglied des einflussreichen Heimatvereins Düsseldorfer Jonges, das hat er mit Walter Scheel, dem Politiker, gemein. Aber er habe, so sagt er, stets auch Sympathie für die FDP gehabt, in die er letztlich jetzt eintrat, 43 Jahre nach seinem größten Erfolg – dem Politiker, den er ein Volkslied singen ließ.
Wir schreiben das Jahr 1973. Dirk Tillen, der zunächst als Foto-Reporter die Stars auf der ganzen Welt fotografierte, sie dann als Roadmanager begleitete, ist derweil Produzent und gemeinsam mit seiner Frau Ingrid Inhaber einer Musikfirma. Er managt Größen wie Gilbert Bécaud, Esther und Abi Ofarim, später wird er mit den Klaviervirtuosen Marek & Vacek Erfolge feiern. Die flinke Polit-Karriere seines Mit-Jonges Scheel verfolgt Tillen aus der Distanz, als er eines Morgens eine winzige Meldung in der Zeitung liest: „Der deutsche Außenminister Walter Scheel kommt wieder nach Düsseldorf, um an den Proben des Düsseldorfer Männergesangvereins teilzunehmen.“
„Es war eine Blitz-Idee“, sagt Tillen. „Ich dachte, unser Außenminister hat noch eine ganz andere Seite, die des relaxten Singens.“ Tillen nahm Kontakt auf zum Bonner Büro, um Scheel als Interpreten eines populären Songs für einen guten Zweck zu gewinnen und stieß zunächst auf Widerstand der Berater: „Das sind ja konservative Leute. Sie sagten, wenn das schief ginge, gäbe es einen unwiederbringlichen Imageschaden.“
„Scheel musste nur noch singen“
Doch Walter Scheel sagte zu. Die Wahl fiel auf das fröhliche Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ und Dirk Tillen orderte eines der besten deutschen Tonstudios in Köln. Tillen: „Es war eine aufregende Zeit. Die Rote Armee Fraktion, der Nahost-Kriege, der Außenminister reiste dauernd, wir hatten ein echtes Zeitproblem. Also haben wir die Bänder mit Chor und Orchester vorproduziert, Scheel musste nur noch singen“. Am Tag, als er zu den Aufnahmen nach Köln kommen sollte, warteten alle gespannt. Eine Stunde, zwei Stunden. „Der kommt sowieso nicht“, lästerten die Techniker. Dann bog der Tross schwarzer Limousinen um die Ecke und Scheel stieg aus.
Dreimal sang der Außenminister das Lied „textsicher“ durch, aus den drei Versionen wurde die beste zusammengefügt. Scheel gefiel die Aufnahme, er gab sie frei.
Wochenlang hielt sich „Hoch auf dem gelben Wagen“ in der Deutschen Hitparade, verwies Udo Jürgens und Heino auf die Plätze. Als der „singende Außenminister“ dann am 6. Dezember ‘73 bei Wim Thoelkes „Drei nach Neun“ sein Volkslied intonierte, saßen 32 Millionen Menschen an den Bildschirmen. „Scheel sang Playback, aber er hatte während seiner Dienstfahrten fleißig die Mundbewegungen geübt. Es sah täuschend echt aus!“ Der „gelbe Wagen“ wurde zum Markenzeichen Walter Scheels. Bei einem Besuch in Mali wurde das Volkslied sogar als deutsche Nationalhymne gespielt, Scheel lächelte es weg.
Häppchen in Ascona
Und Dirk Tillen? Der wurde zum Weggefährten des FDP-Politikers. Vor drei Jahren hat er Walter Scheel, der gerade 97 Jahre alt geworden ist, im Urlaub in Ascona am Lago Maggiore besucht, wie er es viele Jahre getan hat: „Da durften nur Freunde hinkommen.“ Scheel habe „Hoch auf dem gelben Wagen“ fehlerfrei durchgesungen, derweil seine dritte Ehefrau Barbara Häppchen servierte. Das war das letzte Mal. Walter Scheel hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er lebt in einer Senioreneinrichtung in Bad Krozingen.
„Der Erfolg des Liedes darf nicht verdecken, was für ein guter Politiker er war“, sagt Tillen. „Charmant im Ton, hart in der Sache. Aber der gelbe Wagen hat Walter Scheel unglaublich populär gemacht. Nur Monate nach der Veröffentlichung war er Bundespräsident!“
Dirk Tillen hat seine Goldenen und Platin- Schallplatten, die Original-Bänder und Plakate gerade dem „Haus der Geschichte“ in Bonn vermacht. Die Geschichten und Anekdoten seines aufregenden Lebens hat er ja im Kopf.