In NRW werden Menschen mittlerweile etwas früher und etwas häufiger aus dem Maßregelvollzug entlassen. Dank guter Kooperation geht das meist geräuschlos.
An Rhein und Ruhr.
Forensifiziert zu sein, das ist so ungefähr das Unangenehmste, was es gibt. Weil man nicht nur straffällig geworden ist, sondern zudem psychisch krank ist. Bis man dann jemals wieder sämtliche verschlossenen Türen hinter sich lassen kann, vergehen in Nordrhein-Westfalen – nach Ende der Freiheitsstrafe – im Schnitt noch 7,7 Jahre. Immerhin, und das mag für die rund 1500 Betroffenen ein kleiner Trost sein, ging die Dauer des sogenannten Maßregelvollzuges in den vergangenen Jahren seit 2011 um fast ein Jahr zurück.
Gucken wir uns die Lage dieses „Kellerkindes der Psychiatrie“ (so die sarkastische Selbstbezeichnung) von außen an, so erfolgte diese Verkürzung ohne dass die sogenannte normale Bevölkerung gefährlicher gelebt hätte. Sieben Gewalt- und Sexualdelikte durch Menschen, die aus dem Maßregelvollzug entlassen wurden, sind sieben Delikte zu viel. Die Rückfallquote von 3,1 Prozent jedoch ist deutlich geringer als bei „normalen“ Strafgefangenen, von denen rund 40 Prozent rückfällig werden. Und die Quote ist auch geringer als die Rückfallquote bei nicht straffälligen Psychiatriepatienten.
In sieben von 225 Fällen kam es zu Gewalt- oder Sexualdelikten
Im Grunde sind es also 240 Musterpatienten, die nun außerstationär im Rahmen des Maßregelvollzugs betreut werden. Forensische Patienten sind beides: krank und straffällig geworden. Doch auch bei ihnen greift die UN-Menschenrechtskonvention für Behinderte. Also muss man sehen, wie viel Freiheit sie – und die Gesellschaft – vertragen. Insofern war es gestern das edle, unausgesprochene Fernziel einer Fachtagung in der Fachklinik Bedburg-Hau des Landschaftsverbandes Rheinland, auszuloten, wie mehr Freiheit möglich wird.
Immerhin, so die Bilanz, immer mehr Einrichtungen des Betreuten Wohnens oder Wohnheimträger sind bereit, Patienten der Forensik aufzunehmen. Weil es mittlerweile ein dichtes Netzwerk an Hilfen und einen ausgefeilten Hilfeplan gibt: Arbeitgeber, Heimleitung und Justiz arbeiten eng miteinander zusammen, damit zunächst „dauerbeurlaubten“ Menschen aus der Forensik diesen Urlaub nicht wieder abbrechen müssen – das, so Rudolf Schlabbers von der Klinik in Bedburg-Hau, ist bei weniger als einem Prozent der Fall.
Dabei müssen auch Mediziner und Richter eng miteinander kooperieren. Seit dem berühmten Fall Mollath in Bayern, der jahrelang zu Unrecht in der Psychiatrie saß, sind die Richter kritischer geworden. „Wir hatten hier einen Patienten, der saß 13 Jahre in der Klinik. Sein Delikt war, dass er einen Pelzmantel gestohlen hat“, erzählt Jack Kreutz, Chefarzt der Forensik in Bedburg-Hau. Nicht nur in diesem Fall sahen die Richter die lange Verweildauer in der Klinik kritisch – und natürlich auch die Betroffenen selbst: Immerhin 109 legten 2015 gegen die Fortdauer ihrer Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein. Allerdings entschieden sich die Richter dort nur in fünf Fällen für die Entlassung des Patienten.
„Für uns ist vor allem wichtig, dass wir die Entlassung des Patienten vorbereiten können“, erläutert Schlabbers. Mittlerweile gibt es in allen Städten und Gemeinden im Rheinland feste Ansprechpartner, mit denen geklärt wird, wo der Patient nach seiner Entlassung aus der geschlossenen Psychiatrie wohnen und betreut werden kann.
Auch nach seiner Entlassung ist der Patient übrigens – ähnlich wie ein Strafgefangener auf Bewährung – an richterliche Weisungen gebunden. Dazu gehört meist, dass er keinerlei Drogen, auch keinen Alkohol, zu sich nehmen darf und jeder Wechsel der Wohnung oder der Arbeitsstätte melden muss. Die Träger von Heimen und betreuten Wohnungen arbeiten im eigenen Interesse mit und melden den Medizinern, wenn der Patient in Schwierigkeiten gerät – was häufiger vorkommt als dass er Schwierigkeiten macht. Ehemalige Forensikpatienten sind selten Täter. Häufiger werden sie erneut zum Opfer ihrer Erkrankung