Immer lauter wird der Ruf nach Abschaffung der „Arbeitsgelegenheiten“, den Ein-Euro-Jobs, die wie die „Ich-AG“, die „Aufstocker“, die „Mini“- und die „Midi“-Jobs zu den vielen Säulen der Hartz-Reformen gehörten. Beschäftigte prüfen Puzzlespiele oder tragen Koffer auf den Bahnsteig. Reguläre Arbeit finden sie aber nicht.
Düsseldorf.
Sie gehörten wie die „Ich-AG“, die „Aufstocker“, die „Mini“- und die „Midi“-Jobs zu den vielen Säulen der Hartz-Reformen. Sie sollten Langzeit-Arbeitslosen die Chance auf einen richtigen Arbeitsplatz eröffnen, ihnen zumindest aber sinnvolle Beschäftigung geben: die sogenannten „Ein-Euro-Jobs“. Gut zehn Jahre nach ihrer Erfindung sind diese Arbeitsplätze offenbar ein Auslaufmodell. Immer lauter tönt der Ruf: Weg damit! Spott und Häme mischen sich darunter. Man macht sich lustig über Jobs, die Lichtjahre entfernt sind von der normalen Arbeitswelt.
Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ist nun der Kragen geplatzt. Weil er viele Ein-Euro-Jobs schlicht für unsinnig hält. „Wenn Kanus von Jungerwachsenen zwar gebaut werden dürfen – die Kanus aber auf dem Wasser nicht fahren dürfen. Wenn Bilder auf Wände zwar gemalt, aber dann wieder überstrichen werden müssen.
Wenn Altkleider zwar an Bedürftige abgegeben, nicht aber geändert werden dürfen, dann stehen wir vor einer Infantilisierung der Arbeitsmarktpolitik“, schreibt Scheele an den Bundesrechnungshof. Der Bund der Steuerzahler forderte am Montag die Abschaffung der Ein-Euro-Jobs. Heinrich Alt aus dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit spricht von „marktfernen Parallelwelten“ und vergleicht diese Art der Beschäftigung mit „Schwalben auf Helgoland zählen“.
Erst malen, dann wieder überstreichen
Hauptproblem ist, dass der Ein-Euro-Jobber „wettbewerbsneutral“ arbeiten muss. Er darf also keinem regulär Beschäftigten Konkurrenz machen. Das führt mitunter zu bizarr anmutenden Aufträgen wie Bilder malen und überstreichen.
Beispiele, die nachdenklich stimmen, gibt es viele. In Schwäbisch-Gmünd sollten im vergangenen Jahr Asylbewerber als Ein-Euro-Jobber Reisenden die Koffer auf den Bahnsteig tragen. Was dem Projekt sofort einen Rassismus-Vorwurf einbrachte: Kann ja nicht angehen, wenn Schwarze den Weißen die Koffer tragen. Die Arbeitsagentur NRW erzählte am Montag von Ein-Euro-Jobbern, die Puzzle-Spiele auf Vollständigkeit prüfen. „Durchaus eine sinnvolle Beschäftigung, denn die Puzzles sollen an Familien mit Kindern weitergegeben werden, und es wäre schade, wenn ein Teil fehlen würde“, sagte Werner Marquis, Sprecher der Agentur. Nur stellt sich auch ihm die Frage, ob solche Tätigkeiten für den regulären Arbeitsmarkt qualifizieren. Sehr oft sei dies eben nicht der Fall.
DGB hofft auf den Mindestlohn
Andreas Meyer-Lauber, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes in NRW, hält nicht viel von den Ein-Euro-Jobs. „Die Erfahrungen damit sind nicht positiv, weil der erhoffte Übergang in den ersten Arbeitsmarkt nicht funktioniert hat. Oftmals war es nur ein ständiger Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und Ein-Euro-Job“, sagte er dieser Redaktion. Andererseits sei es wichtig, für Langzeitarbeitslose Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. „Wir müssen also die Ein-Euro-Jobs durch neue Angebote ersetzen, die noch entwickelt werden müssen. Das Ziel ist klar: Es geht um einen dauerhaften Übergang von Langzeitarbeitslosen in reguläre Beschäftigung, also um Nachhaltigkeit. Und es muss mehr Geld für die Qualifizierung von Arbeitslosen bereitgestellt werden.“
Der DGB hofft auf die Wirkung des gesetzlichen Mindestlohns: „Wir erhöhen damit die Attraktivität von Arbeit, und wir stellen damit die Würde der Arbeitnehmer wieder her“, so der Gewerkschaftschef.
Nicht alle stimmen in den Abgesang auf die „Arbeitsgelegenheiten“ ein. Die Caritas im Ruhrbistum Essen spricht von einem „eigentlich sinnvollen Instrument“. Gerade in der Altenpflege und bei der Senioren-Betreuung könnten diese „Jobber“ Gutes leisten. Es sei schade, dass der Staat die Förderung dieser Arbeitsverhältnisse immer weiter runtergefahren habe. Aber auch die Caritas sieht, dass nur den Wenigsten der Sprung in reguläre Beschäftigung gelingt. „Seien wir ehrlich: das sind die Ausnahmen“, sagte Caritas-Sprecher Christoph Graetz.
Nur noch knapp 20 000 Ein-Euro-Jobber in NRW
Die Zahl der Ein-Euro-Jobber ist in den vergangenen Jahren bundesweit deutlich gesunken. Nach der Einführung im Jahr 2005 wurden im Schnitt 300.000 Hartz-IV-Empfänger auf diese Weise gefördert. Inzwischen sind es nur noch 84.000.
Die Entwicklung in NRW ist ähnlich: Hier gab es Ende Februar 19.821 Ein-Euro-Jobber – rund 3000 weniger (minus 6,1 Prozent) als im Februar 2013. Ein-Euro-Jobber verdienen im Schnitt etwa 1,50 Euro in der Stunde.
Offiziell heißen die Jobs „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“ (zusätzlich zum Arbeitslosengeld II). Nicht einmal jeder zehnte Langzeitarbeitslose schafft so den Sprung in einen regulären Job.