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Die Revolution in den NRW-Rathäusern

Die Revolution in den NRW-Rathäusern

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Neuer Oberbürgermeister: Dr. Wolfgang Reiniger Foto: Oliver Müller
Vor 20 Jahren kippte der Düsseldorfer Landtag die umstrittene Doppelspitze von ehrenamtlichem Bürgermeister und Stadtdirektor als Verwaltungschef in den NRW-Rathäusern. Seitdem wird der (Ober-)Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen direkt gewählt.

Düsseldorf. 

Roland Schäfer kann von sich sagen, er habe zwei Systemen gedient. Der SPD-Bürgermeister von Bergkamen, der in zwei Wochen bei der Kommunalwahl erneut kandidiert, war zuvor jahrelang Stadtdirektor, ehe dieses Amt in NRW abgeschafft wurde. Fast genau 20 Jahre ist es her, dass der Landtag die bisher größte Umwälzung in den Rathäusern beschloss und die umstrittene Doppelspitze kippte. Was vielen, die am 25. Mai ihren (Ober-)Bürgermeister direkt wählen, selbstverständlich erscheint, kam damals fast einer Revolution gleich.

„Die Bürger haben heute einen klaren Ansprechpartner“, sagt Schäfer, der auch Präsident des Städte- und Gemeindebunds ist. Transparenz – das war das Hauptziel der Verfassungsreform. Für viele Bürger waren die Machtstrukturen im Rathaus kaum durchschaubar. An der Spitze der Verwaltung amtierte ein hochdotierter Stadtdirektor, der die Kommune auch in Rechtsangelegenheiten vertrat. Der – ehrenamtliche – Bürgermeister neben ihm wurde vom Rat gewählt und durfte die Stadt repräsentieren.

„System organisierter Unverantwortlichkeit“

Vor allem in Großstädten an Rhein und Ruhr erwies sich dieses Modell, ein Erbe der britischen Besatzungsmacht nach dem Krieg, als untauglich. Ein nach der Verfassung machtloser Bürgermeister, der zudem abhängig war vom Wohlwollen einflussreicher Fraktionschefs, entsprach nicht dem Gespür der Wähler. Konflikte waren zwangsläufig. Der frühere Essener OB Peter Reuschenbach (SPD) brachte das Dilemma mit griffigen Worten auf den Punkt. „Wenn ich mich an die Gemeindeordnung hielte“, sagte er, „säße ich den ganzen Tag wie Pik Sieben in meinem Amtszimmer und dürfte alle vier Wochen eine Kirmes eröffnen.“

Essen galt Reformern als besonders abschreckendes Fallbeispiel. Hier entlud sich das „System organisierter Unverantwortlichkeit“, wie Verwaltungsexperten die Rathaus-Strukturen nannten, in einem bösen Machtkampf, der die Stadtpolitik blockierte. Fritz Behrens (SPD), damals Düsseldorfer Regierungspräsident und später NRW-Innenminister, spricht noch heute von einem „Triumvirat“. Er erinnert sich, dass es seine Aufsichtsbehörde teils mit drei konkurrierenden Delegationen aus Essen zu tun hatte, wenn es ein strittiges Projekt zu verhandeln galt.

„Verschrotten Sie diese Gemeindeordnung“

„Die Gemeindeordnung hatte beim Bürger keine Akzeptanz“, sagt Behrens. Auch andernorts klafften Verfassungstheorie und politische Praxis auseinander, lähmten die Stadtspitze. Etwa in Köln, wo Oberstadtdirektor Kurt Rossa im Rat mit einer flammenden Rede an den Landtag appellierte: „Verschrotten Sie diese Gemeindeordnung!“ Doch es sollte noch mehrere Jahre dauern, bis es Innenminister Herbert Schnoor (SPD) gelang, seine Partei auf Reformkurs zu zwingen.

Kommunalwahlen 2014Vor allem die über absolute Mehrheiten verfügenden SPD-Fraktionschefs im Ruhrgebiet sahen ihre Besitzstände in Gefahr und legten sich quer. Erst als CDU und FDP im Landtag mit einem Volksbegehren drohten, war die SPD bereit, die überholte Gemeindeordnung durch ein „System der Klarheit und Wahrheit“ (Schnoor) abzulösen. Im Mai 1994 setzte der Landtag das Ende der kommunalen Doppelspitze durch. 1999 wurden dann nach einer Übergangsfrist erstmals alle Bürgermeister in NRW per Urwahl bestimmt.

Experimentierfeld für Machtpolitik

Auch danach war das erste Amt im Rathaus mehrfach Experimentierfeld für machtpolitische Gelüste. Die schwarz-gelbe Rüttgers-Koalition schaffte zur Kommunalwahl 2009 die Stichwahl der Bürgermeister ab und verlängerte ihre Amtszeit von fünf auf sechs Jahre, um sie getrennt vom Rat wählen zu lassen. Als SPD und Grüne 2010 die Regierung erneut übernahmen, drehten sie alles wieder zurück. Einzig an der Reform von 1994 mit dem Bürgermeister als alleinigem Chef im Rathaus wurde nie wieder gerüttelt.

„Sie hat sich bewährt“, sagen Behrens und Schäfer unisono. Nur der Idealtyp des Amtsinhabers – Schäfer beschreibt ihn als „Mischung aus korrektem Verwaltungsfachmann, dynamischem Wirtschaftsmanager, einfühlsamem Sozialtherapeuten und volksnahem Vereinsmenschen“ – wird wohl Illusion bleiben. Auch der Bürgermeister ohne Parteibuch, ein politisches Anliegen der Reform von 1994, konnte sich in den Parteigremien nicht durchsetzen.