Gesine Lötzsch und die Kommunismus-Debatte: Friedlich und human ist nur Marx’ und Engels’ Utopie. Eine Analyse.
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Wie war das da in der strengst linken Zeitung „Junge Welt“? Hat Gesine Lötzsch, die Chefin der Linkspartei, den Schafspelz fallen lassen, so dass die Wölfin zum Vorschein kam? In einem Beitrag hatte sie den Traum der Überwindung der heutigen Gesellschaftsordnung offenbart: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Kommunismus? Ist der Gedanke, eine kommunistische Gesellschaft anzustreben, nicht längst nur noch Geschichte? In einigen Köpfen offenbar nicht.
Lassen wir die Empörung und Attacken, die aus den bürgerlich-demokratischen Parteien über Lötzsch hereinbrachen, hier einmal außer acht. Auch die Irritationen und die internen Auseinandersetzungen zwischen Reformern, Modernisierern und orthodoxen, extremen Linken, die sie in ihrer Partei ausgelöst hat. Lassen wir uns einfach auf den Traum einer Renaissance der Kommunismus-Idee ein.
Denn: Entspricht es nicht dem Sehnen aller Menschen, in einer Ordnung zu leben, in der an die Stelle des Strebens nach Geld und Macht die Selbstverwirklichung in einer brüderlichen, humanen Gemeinschaft treten soll? In der Gerechtigkeit herrscht und Solidarität, wie es die kommunistische Idee will? Darin ist auch das Privateigentum abgeschafft und alle haben gleiche Rechte.
In dieser Ordnung gibt es keinen Zwang, kein Unterjochen, keine staatliche Gewalt, keine Unterdrückung. Denn von Freiheit schreiben Karl Marx und Friedrich Engels in ihrem 1848 verfassten „Kommunistischen Manifest“. Dort setzen sie der bürgerlichen Welt eine „Assoziation“ entgegen, worin „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ ist. Der marxistische Theoretiker Lenin sagt, auf dem Weg zum Kommunismus verliere der Staat immer mehr an Bedeutung und werde schließlich überflüssig sein.
Allein: Kann es eine solche Gesellschaftsform überhaupt geben? Marx/Engels formulierten es wenige Jahre vor dem Manifest recht verhalten: „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird.“
Also hinab von Visionen zur ernüchternden Realität. „Ein kommunistisches Regime hat es, gemessen an der Utopie, nie gegeben“, sagt der Wissenschaftliche Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat, Professor Klaus Schroeder, in Berlin: „Insofern reden wir über Wege zum Kommunismus, über sozialistische Staaten. Und die haben massenweise Verbrechen begangen. Es waren die Verbrechen des realen Sozialismus auf dem Wege zum Kommunismus.“ Fakt ist, dass kein einziger Staat, der sich auf eben diesen Weg begab, ohne Gewalt ausgekommen ist. Über weite Phasen ihrer Geschichte stehen die UdSSR, China und Kambodscha nahezu symbolhaft für massive Gewalt, so wie die untergegangene DDR für Stasi-Bespitzelung, Rechtsbeugung und Verfolgung steht.
Ist es also nicht ebenso historisch absurd wie zynisch zu nennen, wenn Linke vom gewaltfreien Kommunismus schwärmen und die in seinem Namen verübten Verbrechen verharmlosen, leugnen oder als Mittel gegen den Klassenfeind rechtfertigen?
Für Schroeder „ist dem Kommunismus immanent, Gewalt auszuüben, Andersdenkende auszuschalten, Menschen zu manipulieren und gleichzuschalten.“ Und trotz ihrer Idee des humanen Kommunismus reden Marx und Engels von sich feindlich gegenüber stehenden Lagern (Bourgeoisie/Proletariat) und drohen: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kommunistischen Revolution zittern“. Rosa Luxemburg, Mitbegründerin der KPD und linke Ikone, wollte den „bürgerlichen Staat“ durchsetzen, Machtpositionen erobern.
Aber warum führt der Weg zu einer kommunistischen Ordnung über Terror und Leid? „Weil die Gleichmacherei dem menschlichen Naturell widerspricht“, sagen Psychologen und Totalitarismus-Experten. Daher werde versucht, die, die sich der neuen Ordnung nicht beugen, auszuschalten, umzuerziehen oder sogar zu liquidieren. Das sei sozusagen „die letzte Konsequenz der angestrebten Nivellierung der Gesellschaft“.
Zum Scheitern der im Kern humanen Utopie hat vor allem der Weg, der „real existierende Sozialismus“ beigetragen. Wenn Lenin meinte, der Staat werde überflüssig werden, trat das Gegenteil ein: In dem Maß, in dem Regimes immer repressiver vorgehen mussten, bauten sie den Staat als Unterdrückungsinstrument ständig aus. „Man hat sich immer weiter vom Ziel Kommunismus entfernt, denn es gab mehr Unterdrückung und einen stärkeren Staat, der alles niederhält“ — dieser Analyse kann auch Gesine Lötzsch kaum widersprechen.