Veröffentlicht inPolitik

Die Leiden der Hannelore Kohl

Die Leiden der Hannelore Kohl

imago53627233h--543x199.jpg
Hannelore Kohl lebte 41 Jahre lang an der Seite von Altkanzler Helmut Kohl. Nun erscheint ein Buch über das Leben und Leiden einer Politiker-Ehefrau. Auch Details wie die Vergewaltigung durch russische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich darin.

Essen. 

Es ist hart, ein Leben lang „die Frau von“ zu sein. Gerade an der Seite eines Kohls, dem Allmächtigen. Beklagt hat sich Hannelore Kohl nie. Zumindest nicht laut. Dabei hat sie in den 41 Jahren im Schatten eines politischen Alphatiers einiges mitgemacht und noch viel mehr entbehren müssen. Zum Beispiel Urlaub. Wolfgangsee, immer wieder Wolfgangsee. Sie hat ihn gehasst und wollte ans Meer. Aber sie hat geschwiegen. Weil ihr Mann es so wollte, ist sie mitgefahren. „Die Frau an seiner Seite.“

Unter diesem Titel, versehen mit dem Zusatz „Leben und Leiden der Hannelore Kohl“ hat Fernsehautor und Schriftsteller Heribert Schwan ein Buch geschrieben, das heute in die Läden kommt und aus dem der „Spiegel“ vorab berichtet. Schwan pflegte ein enges Verhältnis zur Kohl-Familie. Er schrieb auch mit an den Memoiren des ehemaligen Bundeskanzlers.

„Dein Schlänglein“

Das Buch über Hannelore Kohl erscheint nicht zufällig zu dieser Zeit. In drei Wochen jährt sich ihr Selbstmord zum zehnten Mal. Es ist der 4. Juli 2001, später Abend, als sich eine verzweifelte Frau in ihrem Haus in Ludwigshafen sicher ist, an diesem Punkt in ihrem Leben den Tod vorzuziehen. 68 Jahre ist sie, und sie geht in ihren letzten Stunden ähnlich kontrolliert, gewissenhaft und bedächtig vor, wie sie es als Politikerehefrau immer gemacht hat. Sie hinterlässt 20 Abschiedsbriefe, adressiert an Freundinnen, an Mitarbeiter, an ihre beiden Söhne Peter und Walter und an ihn, ihren Helmut. „Dein Schlänglein“ – mit ihrem Kosenamen unterschreibt sie, gemalt als Schlangenlinie. Der „Spiegel“ zitiert aus dem Brief: „Es fällt mir schwer, Dich nach 41 Jahren zu verlassen.(…) Ich liebe Dich und bewundere Deine Kraft. Möge sie Dir erhalten bleiben. Du hast noch viel zu tun.“

Sie ist keine Frau für eine Endabrechnung. Sie wirkt wie eine stumme Dienerin neben diesem monumentalen Mann. Bis in den Tod. Dabei hat sie in ihrem Leben viel mitgemacht. Andere wären an einer solchen Biografie verzweifelt oder schon viel früher zerbrochen. Sie hat es erduldet.

Nazi-Machenschaften

Hat ertragen, dass ihr Vater in NS-Machenschaften verstrickt gewesen sein soll. Hat den Krieg ertragen und ein traumatisches Erlebnis: Hannelore ist zwölf, als sie von russischen Soldaten aufgegriffen und mehrfach vergewaltigt wird. „Wie ein Zementsack“, schreibt Autor Heribert Schwan, wird sie aus einem Fenster geworfen. Sie trägt eine schwere Wirbelverletzung davon, dazu tiefe seelische Wunden. „Schon der Geruch von Männerschweiß, Knoblauch und Alkohol, so berichtet sie noch Jahrzehnte danach, konnte in ihr die Erinnerung wecken.“ Ein Buch berührt.

Hannelore Kohl ordnet sich unter. Erst recht, als sie Helmut kennen und lieben lernt. Mit Politik hat sie nichts am Hut. Je mächtiger ihr Mann wird, desto mehr verfestigt sich bei ihr die Abneigung gegen alles Politische. Wenn er sie braucht, ist sie trotzdem da. Repräsentiert mit einem Gesicht, das manche „maskenhaft“ nennen, andere als „barbiehaft“ verspotten.

Ihre letzten Lebensjahre verbringt Hannelore Kohl in Dunkelheit. Nicht, weil der Schatten ihres Mannes so gigantisch ist, sondern weil sie eine schwere Lichtallergie hat. Sie kann nur nachts raus, ist einsam, wird erdrückt von diesem Leben. Gerüchte über Liebesaffären ihres Mannes kommen auf. Dazu die Spendenaffäre. Sie kann nicht mehr.

Nicht das erste Buch

Das Buch von Heribert Schwan ist nicht das erste zum Tod von Hannelore Kohl. 2002, ein Jahr nach dem Selbstmord, erschienen „Hannelore Kohl – Zwei Leben“ von der Journalistin Patricia Clough und „Hannelore Kohl – Ihr Leben“, das Sohn Peter zusammen mit der Journalistin Dona Kujacinski verfasst hat. Clough schrieb das Buch auch gegen den Widerstand von Altkanzler Helmut Kohl, weshalb sie viele Informationen nicht bekommen konnte. Peter Kohls Interesse soll vor allem darin bestanden haben, das Vermächtnis der Familie zu wahren und so blieben viele Fragen nach Hannelore Kohls Leiden unbeantwortet.

Parallel zur Berichterstattung des „Spiegel“ über das aktuelle Hannelore-Kohl-Buch wurde gestern bekannt, dass Peter Kohl die Filmrechte an der Biografie seiner Mutter verkauft hat. Wie schon 2002 reagiert Kohl damit auf den Versuch Dritter, sich der Familiengeschichte von außen zu nähern.