Die rockerähnlich organisierten Black Jackets fallen seit einigen Monaten auch in Nordrhein-Westfalen mit Straftaten auf. Kerstin Reich, Expertin für Kriminal-Psychologie aus Tübingen, erklärt im Interview, warum junge Menschen in solchen Banden mitmachen.
Tübingen.
Die rockerähnlich organisierten Black Jackets fallen seit einigen Monaten auch in Nordrhein-Westfalen mit Straftaten auf. Dr. Kerstin Reich, Expertin für Kriminal-Psychologie, arbeitet an der Uni Tübingen. Sie kümmert sich in der forensischen Klinik in Zwiefalten bei Ulm auch um suchtkranke Täter aus den Reihen der Black Jackets. Die WAZ sprach mit ihr über die Jugend-Gang.
Frau Dr. Reich, sind die Black Jackets eine Rockerbande oder eine Straßengang?
Kerstin Reich: Die Black Jackets haben den Charakter einer typischen Straßengang, nicht so sehr den einer Rockerbande. Diese Gang wirkt aber wie eine Rockerbande identitätsstiftend, und die Mitglieder üben häufig illegale und gewalttätige Aktivitäten aus, zumindest akzeptieren sie solche. Sie haben ihre eigenen Symbole, ihre eigene Musik, meist Hip Hop. Diese Lieder transportieren jene Themen, die den Gang-Mitgliedern wichtig sind. Zum Beispiel das Auflehnen gegen Benachteiligung.
Warum machen Jugendliche und junge Erwachsene in solchen Gangs mit?
Reich: Häufig kommen die Mitglieder aus Familien mit Migrationshintergrund. Das heißt überhaupt nicht, dass aus Migranten-Familien besonders viele auffällige Jugendliche hervorgehen. Im Gegenteil. Häufig sind diese Familien im Grunde intakt, und die meisten Kinder machen – wenn auch nicht immer ohne Schwierigkeiten – ihren Weg. Aber manchmal ist eines der Kinder ein Ausreißer, das schwer zu disziplinieren ist. Wenn dieses Kind Probleme hat, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wenn es merkt, dass es zum Beispiel bei Sprache und Bildung und dem Konsumverhalten nicht mit anderen mithalten kann, dann ist es möglicherweise empfänglich für die Angebote einer Straßengang
Die Gang als Familienersatz
Was bietet die Gang den Jugendlichen?
Reich: Sie ist eine Art Ersatz-Familie. Junge Menschen wünschen sich eine Familie, Geborgenheit, Zugehörigkeit und feste Regeln, die orientierend sind. Bei den Black Jackets bekommen sie das, was sie sich wünschen. Sie sind Teil einer Gruppe, sie müssen Autorität akzeptieren, sie müssen zuverlässig sein und können sich auf andere verlassen. Das ist die Erfüllung jugend-typischer, essenzieller Bedürfnisse. Nur leider ist es in diesem Fall keine gute Ersatzfamilie, sondern eine, die Straftaten verübt.
Welche Werte werden in dieser Gruppe besonders geschätzt?
Reich: Es geht immer um Respekt und Ehre. Damit machen sie es sich sehr leicht, denn im Namen der Ehre ist ja quasi alles legitim. Mit Ehre ließe sich sogar ein Mord begründen. Und der Respekt ist genauso wichtig. Die meisten jungen Menschen schaffen es, sich über Leistung Respekt zu verschaffen. Wenn einer aber benachteiligt ist oder sich so fühlt, dann ist das nicht so leicht. Der versucht vielleicht, sich durch Gewalt und durch die Zugehörigkeit zu einer starken Gruppe Respekt zu verschaffen.
Wie alt sind die Mitglieder?
Reich: Das geht im Jugendalter von 14 oder 15 Jahren los. Die meisten steigen aus der Gang wieder aus, bevor sie erwachsen sind. Aber einige schaffen den Absprung nicht und machen weiter. Wenn dann noch harte Drogen dazukommen, wird es richtig ernst. Je älter die Mitglieder, desto schwerer der Ausstieg. Das kann verheerend enden. Ich betreue im Maßregelvollzug auch solche jungen Männer. Stellen Sie sich vor, jemand hat eine hohe Position in der Gang erreicht. Das ist ungeheuer faszinierend für jemanden, der sonst in der Gesellschaft zu den Benachteiligten zählt. Nur in diesem System, nur in einer solchen Gang hat dieser Mensch Macht. Also versucht er, dieses Regelwerk wenn möglich auch im Maßregelvollzug durchzusetzen. Es ist ungemein schwer, so etwas noch zu korrigieren.
Sind Straßengangs wie die Black Jackets eine Gefahr?
Reich: Sicher. Aber nicht so sehr für normale Bürger und Unbeteiligte. Oft streiten die verschiedenen Gangs vor allem miteinander und tragen ihren Kampf um die Vormachtstellung im Revier bzw. im Milieu aus.
Was kann man tun? Sollten sich Streetworker um diese Jugendlichen kümmern?
Reich: Es gibt einen alten Spruch: Gib der Gruppe einen Streetworker, und sie hält sich um so länger. Je mehr Aufmerksamkeit diese Gangs bekommen, desto mehr fühlen sie sich in ihrer Bedeutung bestätigt.