Zahlreiche Firmen der Bundesrepublik haben einem Bericht zufolge von Zwangsarbeit in der DDR profitiert. Das gehe aus einer noch unveröffentlichten Studie der Stasi-Unterlagen-Behörde hervor, berichtete das ARD-Magazin „Report Mainz“. Aldi und Volkswagen bestätigten, dass sie in der DDR produzieren ließen.
Essen.
Drei Jahre lang saß Inge Naumann im DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck. Aus politischen Gründen. 1400 Damenstrumpfhosen musste sie im Akkord täglich nähen – dreimal so viele wie in normalen Unternehmen. Ein Knochenjob. Nach dem Fall der Mauer kam Inge Naumann in den Westen und entdeckte entsetzt bei Aldi Strümpfe, die sie und ihre Mithäftlinge genäht hatten.
Beweisen konnte sie das nicht, sagt Inge Naumann in den ARD-Tagesthemen. Doch eine bislang noch nicht veröffentlichte Studie der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, die dem ARD-Politmagazin Report Mainz vorliegt, gibt ihr Gewissheit.
Danach haben eine ganze Reihe westlicher Unternehmen wie Ikea, Volkswagen, Karstadt, Kaufhof, Woolworth oder Aldi im Billiglohnland DDR produzieren lassen. Und dabei in Kauf genommen, dass an der Produktion auch Häftlinge beteiligt waren.
Auch VW räumt ein, im Zuge von Kompensationsgeschäften Autoteile aus der DDR bezogen zu haben. Das Kombinat Fahrzeugelektrik Ruhla setzte auch Gefangene ein. Davon will VW aber nichts gewusst haben.
Produktion im Zuchthaus Hoheneck
So auch der Volkseigene Betrieb (VEB) Esda Thalheim, der Strumpfhosen produzierte. In den Stasi-Akten fand der Historiker Tobias Wuschnik Beweise dafür, dass der VEB auch im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck fertigen ließ. Aldi Nord und Aldi Süd bestätigten gegenüber dieser Zeitung, „Geschäftsbeziehungen“ zu dem Strumpfkombinat unterhalten zu haben.
Nach Angaben einer Aldi-Süd-Sprecherin habe Mitte der 80er- Jahre ein Mitarbeiter den DDR-Betrieb besichtigt. „Für ihn gab es jedoch auch zum damaligen Zeitpunkt keinen Hinweis darauf, dass das Strumpfkombinat Esda Thalheim Aufträge an eine andere Produktionsstätte oder gar an ein Gefängnis untervergeben hat“, heißt es in der Stellungnahme. „Eine Abholung von Waren durch Aldi Süd aus einer Haftanstalt können wir nach heutigem Kenntnisstand ausschließen.“
Keine Akten mehr zu finden
Allerdings räumt der Discounter aus Mülheim jedoch auch ein, dass die gesetzliche Aufbewahrungsfrist für Akten abgelaufen sei und deshalb keine Zahlen mehr vorlägen. Einen Antrag auf Akteneinsicht bei der Stasi-Unterlagenbehörde will Aldi nach eigenen Angaben aber auch nicht stellen.
Fast wortgleich äußerte sich auch Aldi Nord in Essen. In der Stellungnahme heißt es; „Wir bedauern und verurteilen aufs Schärfste die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für die Produktion von Waren einzusetzen.“
Stasi-Beauftragter fordert Entschädigung
Zu möglichen Entschädigungen sagen beide Discounter aus dem Ruhrgebiet nichts. Die fordert aber der Stasi-Beauftragte Roland Jahn. „Man könnte sich einen Fonds vorstellten, der dafür sorgt, dass den Menschen Wiedergutmachung geschieht“, sagte er Report Mainz.
Für die ehemalige Zwangsarbeiterin Inge Naumann jedenfalls wäre das zumindest ein kleiner Trost. Sie spricht von „Sklaventreiberei“, die sie im Zuchthaus habe ertragen müssen. Unter den Folgen leide sie noch heute: „Ich bin körperlich kaputt. Aber niemand interessiert sich dafür.“