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Expertin zur Corona-Krise: Wenn sich Freunde radikalisiert haben, solltest du DIESEN Fehler nicht machen

Expertin zur Corona-Krise: Wenn sich Freunde radikalisiert haben, solltest du DIESEN Fehler nicht machen

Dana Buchzik Impfgegner

Verschwörungstheorien - warum sie in Krisen so viele Menschen anziehen

Expertin zur Corona-Krise: Wenn sich Freunde radikalisiert haben, solltest du DIESEN Fehler nicht machen

Verschwörungstheorien - warum sie in Krisen so viele Menschen anziehen

5G-Netze, Bill Gates, ein Laborunfall in Wuhan: Um den Ursprung von Covid-19 ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien. Für Experten ist das keine Überraschung. In Krisen geben sie einigen Menschen demnach zumindest ein Gefühl von Kontrolle zurück.

Der freundliche Nachbar, die liebgewonnene Arbeitskollegin oder der Patenonkel: Viele Menschen mussten in den vergangenen zwei Jahren während der Corona-Pandemie erleben, dass ihre Bezugspersonen zu Querdenkern wurden.

Sie lehnten sich auf gegen die Maskenpflicht, redeten über eine „Corona-Diktatur“, über angebliche Geheim-Pläne von Bill Gates oder gar über Mikrochips in Impfdosen. Auf Facebook und Telegram teilten sie auf einmal Links, die auf dubiose Blogs führten und auf fragwürdige YouTube-Videos, in denen alles als Unsinn und Lüge dargestellt wurden, wovor das Robert Koch-Institut und die WHO warnten.

Andere äußerten offen ihren Hass auf Virologen wie Christian Drosten oder den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn, manche schreckten sogar vor Gewaltfantasien nicht zurück, etwa gegen Corona-Mahner Karl Lauterbach.

Wie soll ich damit umgehen, fragen sich viele Angehörige oder Freunde von Querdenkern. Wie kann es gelingen, wieder einen Weg zueinander zu finden?

Damit beschäftigt sich Dana Buchzik in ihrem Buch „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“. Ihr geht es dabei nicht nur um Querdenker und radikalisierte Impfgegner, sondern auch um politische Extremisten, Islamisten oder Sektenanhänger.

Einen großen Fehler machen viele, weil dieser Ansatz so naheliegt: Das Gegenüber mit Fakten bombardieren. Das führt nämlich überhaupt nicht weiter. Warum das so ist und was du stattdessen tun solltest, liest du hier im Gespräch.

Wenn sich deine Freunde während der Corona-Pandemie radikalisiert haben, solltest du DIESEN Fehler nicht machen

Frau Buchzik, Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, wähnen sich im Besitz der Wahrheit, betrachten andere als Schlafschafe“ oder verblendet, reden oft von oben herab und voller Wut über ihre Feindbilder. Andererseits begegnen viele ihnen wiederum auch mit Überheblichkeit, Hohn und Arroganz. Wie ist da eine Kommunikation auf Augenhöhe wieder möglich?

Dana Buchzik: Das ist ein wichtiger Punkt. Hier machen nämlich beide Seiten den gleichen Fehler: Sie werten ihr Gegenüber ab. Eigentlich wissen wir aber aus eigener Erfahrung, dass niemand ins Nachdenken kommt, wenn er verhöhnt oder beschimpft wird. Abwertungen sorgen nur dafür, dass unser Gegenüber in eine Verteidigungshaltung geht und noch mehr an seiner Überzeugung festhält. Erst wenn wir aufhören, unser Gegenüber zu bewerten, kann unsere Beziehung sich verbessern.

In der ersten Phase versuchen viele, radikale Menschen in ihrem Umfeld mit guten Argumenten und Fakten zur Vernunft zu bringen. Sie verwenden hier viel Zeit mit der Recherche und sind dann enttäuscht, wenn das nicht fruchtet. Warum hilft das meistens nicht?

Mein Lieblingsbeispiel ist hier ein leidenschaftlicher Raucher: Wenn wir dem erklären, dass Rauchen nicht optimal für die Gesundheit ist, wird er dann seine Zigaretten wegwerfen und in Freudentränen ausbrechen, dass ihn endlich jemand aufgeklärt hat? Wir müssen für andere nichts recherchieren und wir müssen ihnen keine Fakten und Argumente wiederkäuen. Es geht nicht um Fakten, sondern um Gefühle.

Was hilft dann?

Viele Menschen haben das Gefühl, im Kontakt mit einer radikalen Person alles versucht zu haben. Tatsächlich haben sie aber nur immer wieder diskutiert, haben also immer wieder exakt die gleiche Strategie angewendet, und waren irgendwann verständlicherweise müde und frustriert.

In meiner Beratung erlebe ich, dass es erst mal ein Verständnis dafür braucht, wie Radikalisierungsprozesse ablaufen. Erst dann entsteht auch die Offenheit dafür, in der Kommunikation neue Wege zu gehen. Dieser erste Schritt, bewusst etwas anders zu machen als vorher, ist immer schwer. Das kennen wir ja aus vielen Lebensbereichen, zum Beispiel, wenn wir mit Sport anfangen oder gesünder essen wollen. Wir müssen es bis zu dem Punkt schaffen, an dem wir die ersten Erfolge erleben, denn diese Erfolge stärken uns und helfen dabei, dranzubleiben.

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Zur Autorin:

  • Dana Buchzik berät ehrenamtlich Menschen, die in ihrem direkten Umfeld mit Radikalisierung konfrontiert sind.
  • Die 1983 geborene Autorin lebt in Berlin.
  • Sie selbst wuchs in einer Sekte auf.
  • Die Kulturjournalistin arbeitete als Redaktionsleiterin in der „No Hate Speech“-Kampagne.
  • Sie gibt Workshops zum Umgang mit Hass und Verschwörungstheorien.

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Aber wie kann ich nun vorgehen, wenn ich merke, ich muss mit der Person anders kommunizieren, um sie wieder zu erreichen?

In meiner Beratung empfehle ich zu Anfang vor allem drei Strategien: Sich nicht mehr auf Diskussionen einlassen, Allianzen suchen und gesunde Grenzen ziehen. Letzteres ist besonders wichtig, denn nicht nur wir fühlen uns mit belastenden Inhalten geflutet, sondern auch unser Gegenüber. Es geht darum, gemeinsam einen klar begrenzten Raum zu schaffen – für die radikale Ideologie und auch für unsere Meinung dazu.

Eine Möglichkeit ist es, konkrete Zeiten in der Woche festzulegen, in der mal der eine, mal der andere von seinen Überzeugungen erzählt und ihm nicht widersprochen wird, solange er keine persönlichen oder juristischen Grenzen überschreitet. Außerhalb dieser Zeit werden andere Themen besprochen. Das hilft beiden Seiten, sich daran zu erinnern, dass eine radikale Person mehr ist als ihre Ideologie.

Gibt es auch den Punkt, wo ein totaler Kontaktabbruch sinnvoll sein kann, wenn man nicht weiterkommt?

Eigentlich wollen wir ja lieb gewonnene Menschen nicht verlieren. Wenn wir also ernsthaft über einen Kontaktabbruch nachdenken, haben wir zu oft unsere Grenzen ignoriert und sind emotional überlastet. Mit dieser Überlastung muss ein Umgang gefunden werden, und manchmal ist ein Kontaktabbruch alternativlos.

In den meisten Fällen lässt sich aber sehr schnell Druck aus der Situation nehmen, wenn wir aufhören, inhaltlich zu diskutieren, und gesunde Grenzen setzen, ohne dabei unser Gegenüber zu beschämen oder abzuwerten.

Viele Menschen erlebten nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie diesen Schock: Der nette Onkel oder die Freundin aus Schulzeiten glauben plötzlich an Verschwörungstheorien und wurden im Tonfall immer aggressiver. Sie aber behaupten in Ihrem Buch: Das kommt nicht aus heiterem Himmel, die Vorzeichen waren vorher schon erkennbar. Wieso wurden Sie übersehen?

Es ist vor allem unserem Bildungssystem zu verdanken, dass die meisten Menschen das Wort „Radikalisierung“ nur mit islamistischen Attentätern oder rechten Schlägertrupps verbinden. Aber auch der Journalismus hat über Radikalisierung oft nur berichtet, wenn Anschläge passieren oder schwerster Kindesmissbrauch.

Da ist es kein Wunder, dass die meisten es nicht als Warnzeichen erkennen, wenn der nette Onkel am Kaffeetisch etwas Rassistisches sagt oder wenn die Freundin aus Schulzeiten ihr Kind nicht gegen Tetanus impfen lässt. Und natürlich ist es auch bequem, zu denken: In meinem Umfeld gibt es solche Leute ja nicht.

Würden Sie sagen, dass jeder Mensch anfällig ist, in radikale Ideologien oder Verschwörungstheorien abzudriften?

Die Forschung zeigt, dass sich nicht einmal Terroristen vom gesellschaftlichen Durchschnitt unterscheiden. Selbst Menschen, die unfassbare Gewalttaten begehen, sind also weder psychisch kränker noch weniger gebildet oder abgehängter. Ein psychologisches Profil für Radikale existiert nicht. Wir sind alle prinzipiell anfällig.

Eine These von Ihnen lautet, dass Querdenker bzw. radikale Maßnahmen-Gegner oftmals „gesunde, gut situierte Menschen“ sind. Lässt sich das empirisch belegen? Gibt es den typischen Querdenker“?

Es gibt ja insgesamt noch wenige wissenschaftliche Arbeiten über Querdenker, einfach, weil die Bewegung noch sehr jung ist. Wir sehen aber, dass es vor allem Menschen aus der Mittelschicht sind, oft mit hohem Bildungsgrad, und das passt zu einer wichtigen Erkenntnis der internationalen Radikalisierungsforschung: Je mehr Privilegien jemand hat, desto gefährdeter ist er, sich zu radikalisieren.

Wer nämlich daran gewöhnt ist, von der Gesellschaft mit Respekt behandelt und von der Politik mitgedacht zu werden, der lässt sich schneller überzeugen, dass seine Bedürfnisse wichtiger wären als die aller anderen. Und wer voller Wut ist, weil er plötzlich auf andere Rücksicht nehmen soll, der lässt sich auch eher einflüstern, dass da nur eine bösartige Diktatur am Werk sein kann.

Sie schreiben, dass Menschen mit einem gefühlten oder realen Kontrollverlust über das eigene Leben anfälliger sind für Verschwörungserzählungen. Welche gesellschaflichen Gruppen haben diesen Kontrollverlust in der Pandemie denn besonders erlebt?

Grundsätzlich bedeutet die Pandemie für uns alle ein Gefühl des Kontrollverlusts. Die reale Belastung ist dabei aber ungleich verteilt: Denken wir zum Beispiel an prekär Beschäftigte, die sich kaum wehren können, wenn ihre Vorgesetzten Schutzmaßnahmen ignorieren. Und die im Zweifelsfall einfach vor die Tür gesetzt werden, sobald es wieder mehr Einschränkungen gibt. Oder denken wir an Menschen mit Krebs, die nicht behandelt werden können, weil das Krankenhaus alle Hände für Covidpatienten braucht. Das ist ganz realer und bedrohlicher Kontrollverlust.

Auf den Querdenken-Demos sehen wir solche Personen aber eher selten. Was wir sehen, sind Menschen, die genug zeitliche, finanzielle und gesundheitliche Ressourcen haben, um quer durch Deutschland von einer Demo zur nächsten zu fahren und jeden Tag bei Twitter Wissenschaftler und Politiker anzugreifen.

In Ihrem Buch zeigen Sie auf, wie man in individuellen Fällen vorgehen kann. Was ist aber mit den gesamtgesellschaftlichen Konflikten seit der Pandemie? Wird nach dem Auslaufen der Corona-Maßnahmen wieder alles gut?

Ich persönlich halte diese Vorstellung von „wieder alles gut“ für problematisch. Die Pandemie hat ja nicht auf magischem Wege eine Massenradikalisierung ausgelöst, sondern sie hat Schieflagen offen gelegt und verstärkt, die es schon lange vorher gab.

Ich hoffe wirklich, dass wir als Gesellschaft nach Ende der Pandemie eben nicht dazu übergehen, die Radikalisierung von Menschen in unserem direkten Umfeld wieder zu ignorieren und totzuschweigen.

Und ich hoffe, dass die Politik jetzt nicht nur bis zur nächsten Wahl denkt, sondern langfristig. Wir brauchen mehr Forschung zu wirksamen Deradikalisierungsstrategien. Wir brauchen Aufklärungskampagnen dazu, wie sich Manipulation erkennen lässt. Und wir brauchen langfristige Finanzierungen für Beratungsangebote und Ausstiegshilfen. Klar, das kostet mehr als die Online-Argumentationshilfen, auf die die Ampel setzen möchte. Aber es würde, im Gegensatz zu Argumentationsleitfäden, Leben retten.

Das Interview führte Marcel Görmann.