„Evakuierung“ nannte es die SS in ihrem mörderischen Zynismus: Die Nazis trieben rund 60.000 KZ-Insassen in grauenvollen Todesmärschen Richtung Westen. Wer nicht mehr gehen konnte, den erschossen die Wachmannschaften sofort.
Als sowjetische Truppen das Konzentrationslager Auschwitz schließlich befreiten, trafen sie auf gerade einmal 7000 Menschen, die irgendwie überlebt hatten: halb verhungert, entkräftet, von Krankheiten geschlagen. Hunderte von ihnen sollten bald darauf auch noch sterben.
Auschwitz-Befreiung vor 75 Jahren
Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz in Polen zum 75. Mal. Das Datum steht für den Anfang vom Ende eines bestialischen Tötungssystems. Etwa 1,5 Millionen Menschen wurden allein in Auschwitz zwischen 1940 und 1945 systematisch ermordet. Auschwitz wurde weltweit zum Symbol für die Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten.
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Indes: Das größte deutsche Vernichtungslager war keineswegs der einzige Ort, an dem Hunderttausende unschuldige Menschen sterben mussten. Volkhard Knigge weiß das sehr genau. Der Historiker ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Was er berichtet, gewinnt gerade angesichts dieses Jahrestages, der gegen das Vergessen mahnt, eine besonders erschreckende Brisanz.
Denn Knigge beobachtet ein immer offeneres Auftreten rechtsextremer Besucher in dem ehemaligen Konzentrationslager. „In den Besucherbüchern finden sich zunehmend Eintragungen, die Nationalsozialismus und auch die Konzentrationslager als sinnvoll und gut für die Deutschen bewerten“, sagte der Historiker gegenüber der „Neuen Westfälischen“.
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Rechtsextreme gehen perfide vor
Es komme in der Gedenkstätte immer wieder zu „gezielten, vorbereiteten Störungen von Besucherführungen“ durch Rechtsextreme. Als Reaktion seien die Besucherordnung in Buchenwald verschärft und Mitarbeiter trainiert worden, wie sie mit Störern umgehen.
Die Rechten gehen perfide vor: Sie schmuggelten sich unter Besuchergruppen und warteten einen günstigen Moment ab, um Opferzahlen infrage zu stellen oder den Holocaust zu leugnen, erzählt Knigge. Häufig werde das gefilmt. So profilierten sich die Täter im eigenen Umfeld, sagte Knigge, der die Gedenkstätte seit 1994 leitet.
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Äußerungen wie „wären die Lager noch in Betrieb, hätten wir kein Ausländer-Problem“ seien ein „ernstzunehmendes Indiz, dass etwas wegbricht an Geschichtsbewusstsein, an mitmenschlicher Sensibilität und an politisch-demokratischer Orientierung“, sagte Knigge der Zeitung.
Erschütternde Studie
Zum Hass der Rechtsextremen kommt das Unwissen von immer größer werdenden Bevölkerungsteilen: Immer mehr Menschen wissen kaum etwas über den Holocaust. Das betrifft vor allem junge Leute: Laut einer CNN-Umfrage etwa wissen rund 40 Prozent der 18 bis 34 Jahre alten Deutschen wenig bis gar nichts darüber.
Und jeder 20. Europäer hat demnach sogar noch nie von der systematischen Ermordung von Juden im Nationalsozialismus gehört.
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Ähnlich erschütternd sind die Ergebnisse einer Studie aus Österreich: Mehr als die Hälfte der befragten Österreicher wusste demnach nicht, dass während der Zeit des Holocaust sechs Millionen europäischer Juden von den Nazis ermordet worden sind.
59 Prozent wissen nicht, was Auschwitz war
Rüdiger Mahlo ist Repräsentant der Claims Conference in Deutschland. Die Organisation mit Sitz in New York setzt sich seit ihrer Gründung 1951 für Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus ein.
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Er bezeichnete die Ergebnisse solcher Studien als „Weckruf“: „Alle Studien zeigen in dieselbe Richtung“, sagte er mit Blick auf ähnliche Umfragen der Claims-Konferenz in den USA und Kanada, aber auch der Europäischen Kommission und des Nachrichtensenders CNN in mehreren europäischen Staaten. So wussten laut einer im Jahr 2017 veröffentlichten Umfrage der Körber-Stiftung nur 59 Prozent deutscher Schüler ab 14 Jahren, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg war.
Gedenkstätte Buchenwald erteilt AfD-Mitgliedern Hausverbot
Für viel Aufmerksamkeit sorgte kurz vor dem Holocaust-Gedenktag am Montag eine Entscheidung der Gedenkstätte Buchenwald: Die hatte AfD-Mitgliedern erneut Hausverbot erteilt.
Diese seien unerwünschte Personen, wie ein Spreche der Gedenkstätte gegenüber dem MDR mitteilte.
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Hintergrund ist eine Rede von Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke. Der AfD-Mann hatte 2017 in Dresden gesagt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Und an anderer Stelle: „“Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß‘ Zeiten.“
Reinhard Schramm, Vorsitzender der jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, begrüßte die Entscheidung der Gedenkstätte Buchenwald.
Er sagte gegenüber dem MDR: Menschen, die den Holocaust überlebt hätten, sei es nicht zuzumuten, Leuten gegenüber zu stehen, die die NS-Verbrechen relativierten. (pen, mit dpa)