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70 Jahre Haft für Todesschützen von Austauschschüler Diren Dede

70 Jahre Haft für Todesschützen von Schüler Diren Dede

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Hamburg Mourns Death Of Student Shot In Montana Foto: Getty
Der Amerikaner Markus Kaarma soll für die Tötung eines Schülers 70 Jahre lang ins Gefängnis. Er hatte den Jungen mit einer Schrotflinte erschossen.

Washington. 

Der Mann, der im vergangenen Frühjahr in Amerika den Hamburger Austauschschüler Diren Dede erschossen hat, muss für 70 Jahre ins Gefängnis. Frühestens nach 20 Jahren kann er auf Haftverkürzung hoffen. Die Staatsanwaltschaft hatte 80 Jahre gefordert. Mit der Möglichkeit auf Begnadigung frühestens in 40 Jahren. Die Verteidigung verlangte eine Haftstrafe von de facto fünf Jahren.

Markus Kaarma (30), vor zwei Monaten von einer Geschworenen-Jury in Missoula im US-Bundesstaat Montana wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt, blieb ohne jede Regung, als Richter Ed McLean das Strafmaß mit fast drei Stunden Verspätung verkündete. Das Gesetz in Montana gibt für die Tat einen Strafrahmen von 10 bis 100 Jahren vor.

Direns Vater, Celal Dede, war mit seinem deutschen Anwalt Bernhard Docke aus Deutschland angereist. Er nahm das Urteil mit großer Erleichterung auf.

Ohne Vorwarnung mit einer Schrotflinte erschossen

Diren war in der Nachbarschaft seiner Gast-Eltern bei einem nächtlichen Streifzug in eine offen stehende Garage eingedrungen; nach Angaben eines Mitschülers offenbar, um ein Getränk zu stiebitzen. Markus Kaarma, ein ehemaliger Feuerwehrmann, erschoss den 17-Jährigen, der unbewaffnet war und keine Aggression zeigte, ohne Vorwarnung mit einer Schrotflinte. Zu keiner Zeit der kurzen Konfrontation versuchte er, die Situation gewaltfrei zu lösen – sprich: durch einen Anruf bei der Polizei.

Kaarmas Anwälte machten geltend, ihr Mandant habe aus Notwehr gehandelt, weil seine Garage vorher zwei Mal überfallen worden sei. Er habe außerdem Angst um seine Frau und sein kleines Kind gehabt. Ausdrücklich bezogen sich Kaarmas Verteidiger auf ein nicht nur in Montana geltendes Gesetz („Stand Your Ground“), das Hausbesitzern den Gebrauch tödlicher Gewalt gestattet, wenn sie sich oder ihre Familie ernsthaft bedroht fühlen.

Staatsanwalt Andrew Paul ging jedoch vom ersten Moment an von „unangemessener Selbstjustiz“ eines Mannes aus, der seinen Zorn nicht kontrollieren kann und eine latente Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

Täter hatte angekündigt, den nächsten Einbrecher zu töten 

Kaarma hatte wenige Tage vor der Tat bei einem Friseurbesuch vor Zeugen angekündigt, jemanden zu töten, sollte erneut in seine Garage eingebrochen werden. Außerdem hatten Kaarma und seine Frau die Garage mit Kameras und Sensoren präpariert. Andrew Paul: „Es war wie eine Falle.“ Die Geschworenen folgten im Prozess der Argumentation der Anklage. Dennoch kam es am Donnerstag nicht wie geplant zu einem zügigen Abschluss des Verfahrens, das in Deutschland mit viel Aufmerksamkeit verfolgt wird, in den US-Medien aber nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Verteidiger Kaarmas beantragten in letzter Minute eine Neuauflage des Prozesses. Die Medienberichterstattung seit April 2014 habe eine flächendeckende Anti-Stimmung gegen den Angeklagten erzeugt, der sich die Jury nicht habe entziehen können, erklärten die Anwälte Brian Smith und Lisa Kauffman. Die komplette Untersuchung von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Kaarma sei von Voreingenommenheit gekennzeichnet gewesen.

Die Verteidiger signalisierten für den Fall eines neuen Verfahrens Zustimmung für eine Verurteilung wegen eines „abgeschwächten Tötungsdeliktes“.

Verhandlungsangebot der Verteidigung erst nach Verurteilung

Richter McLean, sichtlich überrascht, fragte, warum dieses Verhandlungsangebot erst jetzt komme – und lehnte ab. In einem zweiten Anlauf ließ Brian Smith via Telefon einen bereits im Prozess vernommenen Gutachter zuschalten. Ziel: Straßmaß-Senkung. Der Experte Dr. Douglas Johnson erklärte, Kaarma sei ein prinzipiell sehr ängstlicher Mensch und zur Tatzeit unter „großem Stress gewesen“. Eine Bedrohung stelle er aber nicht dar.

In die gleiche Richtung argumentierte Kaarmas Frau. In einer schriftlichen Erklärung nannte Janelle Pflager ihren Ehemann den „am meisten missverstandenen Menschen, den ich jemals getroffen habe“. Er habe niemanden töten wollen. Kaarma sei aber nach den vorherigen Einbrüchen vor der Tatnacht ernsthaft besorgt um das Leben seiner Familie, insbesondere seines inzwischen 19 Monate alten Sohnes gewesen.

Pflager gab Dede die Schuld an der Tragödie, die „komplett vermeidbar war“. Er hätte, so ihr Tenor, einfach nicht in die Garage gehen sollen. Als sie Direns Vater auf der Zuschauerbank direkt ansah und wortreich ihr Mitgefühl aussprach, platzte der Staatsanwaltschaft der Kragen. Sie zitierte aus einem frisch abgehörten Telefonat mit Kaarma im Gefängnis. Dabei ging es um die Idee, der Familie Dede eventuell die Kosten für den Transport des Leichnams nach Europa zu erstatten. Wörtlich habe Pflager gesagt: „Wir bezahlen nicht dafür, dass die ihren Dreckskerl-Sohn nach Haus gebracht haben.“ Pflager, erkennbar pikiert, erklärte auf Nachfrage, sie können sich nicht an einen solche Aussage erinnern.

Mutter des Verurteilten bat um geringere Strafe 

Im Anschluss hielt Oak Kaarma, die Mutter des Todesschützen, ein Plädoyer für ihren Sohn, der als Halb-Asiate eine schwere Kindheit hinter sich habe und zu wenig Liebe erfuhr. Ihr Sohn müsse verurteilt werden, „weil ein junges Leben genommen wurde“, sagte sie. Aber das Gericht möge ihm die Chance auf einen Neuanfang nicht verbauen.

Die Staatsanwaltschaft ließ vor der Verkündung des Strafmaßes die amerikanischen Gast-Eltern Dedes in den Zeugenstand rufen. In einem emotionalen Auftritt beschrieben Kate Walker Smith und ihr Ehemann Randy die Spätfolgen der Tragödie für ihre Familie: Schock, Antriebslosigkeit, Selbstvorwürfe, Alpträume, Trauer über das Schicksal des Jungen, den „wir in unser Herz geschlossen haben“ und Anteilnahme am Schmerz der Eltern Dedes.

Ermittler: Täter auch im Nachhinein ohne Reue

Guy Baker, der in der Tatnacht ermittelnde Polizist, erklärte, er habe noch nie einen Mordfall gehabt, bei dem der Täter auch im Nachhinein ohne jede Reue geblieben sei. Kaarma, dessen Telefonkommunikation im Gefängnis abgehört wird, wollte auch noch lange nach der Erschießung Dedes als „amerikanischer Held“ behandelt werden, sagte Baker. Dass in Missoula viele Einwohner mit Unverständnis und Entsetzen auf diese Selbstgerechtigkeit reagieren, wie die Lokalzeitung „The Missoulian“ seit Wochen berichtet, hat Markus Kaarma offenbar nicht erreicht. Kurz vor der Verkündung des Strafmaßes entschuldigte er sich ohne einen Hauch von Emotionalität für den Tod Diren Dedes. Er habe jedoch nur das getan, was er für richtig hielt, um sein Familie zu schützen.

Bei Richter McLean verfing dessen Rede nicht. Es sei unerklärlich und unentschuldbar, wegen einer Dose Bier einen Heranwachsenden zu erschießen. Kaarma sei nicht der „nette Mensch“, als den ihn seine Familie darstelle, sagte er. „Sie sind ein zu großes Risiko für die Menschen.“