Veröffentlicht inPanorama

Wie Seminare bei der Bewältigung von Flugangst helfen

Wie Seminare bei der Bewältigung von Flugangst helfen

Flugangst
Thema: Flugangst Foto: Jakob Studnar / WAZ FotoPool
Für jeden dritten Deutschen ist das Fliegen mit Unbehagen verbunden. Dabei kann man etwas gegen die Angst im Flugzeug unternehmen. Bewährt haben sich zum Beispiel Flugangstseminare. Im praktischen Teil müssen die Teilnehmer dann auch in den Flieger einsteigen – und lernen: Im Flugzeug muss es auch mal wackeln.

Bochum/Düsseldorf. 

Tagsüber ein Flugangstseminar, abends die Meldung von einer abgestürzten Boeing in San Francisco. Hat das Seminar da eine Chance? Es hat. Denn bei einem Gesamtvolumen von 2,8 Milliarden Passagieren jährlich ist so eine Katastrophe ein unglücklicher Einzelfall.

Jedes Jahr dieselbe Frage: Wohin fahren wir in den Urlaub? Mein Mann liebt es zu fliegen, ich nicht. Das schränkt die Reiseziele erheblich ein. Unsere Aufenthalte an der See reizten in den letzten Jahren nicht nur unsere Stoffwechsel, sondern mit Dauerregen vor allem die Nerven; lange Autofahrten ebenso. Ganz zu schweigen von unseren Freunden in Neuseeland, die seit Jahren auf unseren Besuch warten.

Aber 24 Stunden auf Adrenalin ohne Notausgang übersteigen meine Vorstellungskraft bei weitem. Meine Form der Aviophobie, das ist die wissenschaftliche Bezeichnung für die Flugangst, ist noch moderat, weil ich immerhin ab und zu fliege. Aber eben nur, wenn es gar nicht anders geht. Neben dem eigentlichen Flugtag sind durch Hineinsteigern und Erholung auch die Tage davor und danach vertan.

Ab 250 Euro kostet der theoretische Teil eines Flugangstseminar

Damit Fliegen irgendwann mal unbeschwert geht, entschließe ich mich zu einem Flugangstseminar. Bisher haben mich die Kosten davon abgehalten, denn für die Gebühr könnte man locker eine Woche Urlaub buchen.

Doch der soll demnächst entspannt beginnen. Die Angebote mit einem begleiteten Flug liegen zwischen 600 und 900 Euro. Für rund 250 Euro ist der theoretische Teil auch gesondert zu haben, denn es gibt durchaus Teilnehmer, die sich bereits ohne Flug sicher fühlen. Ich brauche beides, soviel ist klar. Darum buche ich bei Diplom-Psychologin Linda Föhrer in Bochum. Sie und ihr Team sind erfahrene Flieger und helfen seit Jahren Menschen wie mir.

Wie das Seminar zeigt, betrifft Flugangst oder zumindest Unwohlsein an Bord Männer und Frauen, Manager und Handwerker gleichermaßen, insgesamt rund jeden dritten Deutschen, wie eine Erhebung des Allensbach-Instituts zeigte. In meiner Gruppe gibt es einen, der bei seinem ersten Flug an der Gangway des Urlaubsfliegers Kehrt gemacht hat, ein anderer muss sich am Zielort tagelang von Beruhigungsmitteln und Alkohol erholen, eine dritte will ihre Angst nicht länger auf ihr Kind übertragen.

Warum es im Flugzeug wackeln muss – der Kapitän erklärt Turbulenzen

Absturz, Turbulenzen und Kontrollverlust – Linda Föhrer geht gegen alle Ängste vor. Dabei hat es das achtstündige Tagespensum durchaus in sich und ist anstrengend. Auf dem Programm stehen das Erstellen einer persönlichen Liste von Angstauslösern, Erarbeiten von Lösungsansätzen, Gedankentrainings und Entspannungsmethoden. Zudem übernimmt ein erfahrener Flugkapitän den technischen Part und erläutert alles rund um die Fliegerei – auch direkt am Flugzeug.

Bei mir liegt das Problem weniger bei Start und Landung, sondern in der Luft. Die kleinste Bewegung und ich verkrampfe und fahre schweißnass zusammen. Anschauliche Erklärungen von Flugkapitän Wolfgang Halbey sollen mich davon überzeugen, dass diese Angst unbegründet ist: Es muss wackeln; auch große Flugzeuge können gleiten; Tragflächen lassen sich gut sieben Meter biegen, bevor sie brechen – bei mittleren Luftbewegungen sind es grade mal 30 bis 50 Zentimeter; jede Maschine kommt auch mit nur einem Triebwerk ans Ziel.

Statistisch betrachtet müsste man 4807 Jahre täglich fliegen, um einen Zwischenfall zu erleben – das alles macht Mut. Seine Erläuterungen zu Geräuschen ebenfalls. Eine erste Konfrontation findet dann auf dem Rollfeld statt. Die Maschine in Armlänge und der direkte Kontakt zu Piloten und Crew nimmt die Angst wieder ein Stück.

Dann kommt der Testflug – das Kribbeln ist wieder da 

Bei der zügigen Fahrt mit dem Bus über die Start- und Landebahn kommt dann dieses ungute Kribbeln. Das ist durchaus gewollt. Denn die Teilnehmer sollen sich ihrer Angst stellen, sie formulieren und bei einer späteren Entspannungsübung sogar bewusst aktivieren. Linda Föhrer setzt bei ihrer Arbeit auf das Prinzip „das Vermeiden vermeiden“ und hilft dabei, unangenehme Gefühle und Gedanken in positive umzuwandeln.

Und das klappt tatsächlich. Für den Moment jedenfalls. Man muss es regelmäßig üben. Viele der Übungen scheinen banal, doch sie funktionieren. Und dann kommen dem Teilnehmer statt Platzangstgefühlen Gedanken wie „Wenn ich ruhig und tief atme, schaffe ich genügend Raum um mich herum“ in den Sinn oder einem anderen mit Angst vor Turbulenzen das Wissen „Elastizität ist das Prinzip der Fliegerei“.

Es wirkt!

Dann wird es ernst. Wir treffen uns einige Tage später in Düsseldorf zum Flug nach Hamburg. Das Kribbeln ist wieder da. Doch meine Kreislaufbeschwerden, Magengrummeln und Herzrasen sind einer erträglichen Aufgeregtheit gewichen. Flugkapitän Oliver Leonhardt macht einen vertrauenerweckenden Eindruck.

Selbst als er vor dem Start ein defektes Hilfstriebwerk erwähnt, springt niemand von uns aus der Maschine. Auch Reinhard nicht, der seinen Urlaubsflieger seinerzeit nicht bestiegen hat. Sein Knoten ist bereits nach dem Start geplatzt. Er schaut entspannt aus dem Fenster und jubelt leise: „Formentera, wir kommen“, denn das ist sein Urlaubsziel.

Und am Ende kommt die Entspannung

Ich zähle auf dem Hinflug noch die Minuten und Bewegungen der Maschine. Auf dem Rückflug jedoch muss Seminarleiterin Linda mich schon auf vieles aufmerksam machen, weil ich es nicht mehr wahrnehme und lieber mit meiner Nachbarin lache. Für kommende Turbulenzen gilt das Prinzip der Achtsamkeit: „Präge dir ein, dass es dir auf diesem Flug heute gut geht.“ Dicke Freunde werden das Fliegen und ich vermutlich nicht. Doch es geht, und das gar nicht mal so schlecht.

Hier gibt es Hilfe

Flugangstseminare: Agentur Linda Föhrer in Bochum, (0234) 94 42 96 64, www.entspanntes-fliegen.de. Agentur Texter-Millott in München, (089) 39 17 39,www.flugangst.de. Gerd F. Zimmek in Mönchengladbach, (02161) 247 023, flugangstcoaching.de.

Eine Checkliste für Flugangstseminare findet sich im Internet unter www.test.de (Suchbegriff „Flugangst“ eingeben).

Lesetipp: Alan Carr: „Endlich frei von Flugangst“, Alan Carr, Goldmann Verlag, 8 Euro