Von „Spicks & Specks“ über „Massachusetts“ zu „Saturday Night Fever“: Die Bee Gees haben Pop-Geschichte geschrieben. Und manche Geschichten rund um die Herren Gibbs hatten ein tragisches Ende. Eine Vox-Doku schwelgt in Erinnerungen.
Köln.
Beim ersten TV-Auftritt 1960 müssen sich Maurice und Robin noch auf eine Kiste stellen. Weil die Kamera sie sonst nicht gemeinsam mit ihrem großen Bruder Barry ins Bild bekommt. Adrette Anzüge tragen sie da, zu Krawatte und Hasenzähnen. Noten lesen können sie nicht, finden aber, dass ihre Stimmen gut miteinander harmonisieren. Deshalb glauben sie auch an eine Karriere, glauben, berühmt zu werden. Und als der Moderator des australischen Fernsehens sie vorstellt, weiß man, dass sie Recht behalten werden. „Ihr seid also“, sagt der Mann, „die Bee Gees.“
Das sind sie. Drei Brüder aus England, die die Musikwelt erobern. Mit Balladen und Disco-Songs kommen sie ganz nach oben und stürzen immer wieder ganz nach unten. Weil das Schicksal es nicht gut meint mit ihnen und au fast jeden Triumph eine Tragödie folgt. Ein bisschen wie bei den Kennedys. Und auf jeden Fall genug Stoff für die vierstündige Dokumentation „Stayin Alive – 50 Jahre Bee Gees“, die Vox Samstag, 20.15 Uhr, zeigt. Auch wenn der Anlass – Veröffentlichung der ersten, allerdings erfolglosen Single „The Battle Of The Blue and The Gray“ – ein wenig an den Haare herbeigezogen ist. Zumal der Song auch schon im März 1963 auf den Markt kam.
Bee Gees lösten weltweit „Saturday Night Fever“ aus
Aber das ist auch schon das Einzige, was man an dieser Sendung bemängeln kann. Wer sich Zeit nimmt, den nimmt Barry Gibb, letzter Überlebender des Trios, mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Von Manchester nach Australien, wohin die Familie in den 1950er-Jahren auswandert und wieder zurück. Und von da aus über „Massachusetts“ in eine Welt, in der jahrelang das von den Bee Gees ausgelöste „Saturday Night Fever“ grassiert.
Unterwegs trifft man sie dann wieder, die verstorbenen Brüder Robin und Maurice, lernt aber auch deren Frauen und Kinder kennen oder Mutter Barbara Gibb. Und manch einer von ihnen muss sein Privatarchiv geöffnet haben – so viele Fotos und Filmausschnitte gibt es zu sehen, die bisher wohl nur hartgesotteneren Fans bekannt gewesen sein dürften – wenn überhaupt.
In Erinnerungen schwelgen
Wer älter ist, kann dabei immer wieder in musikalischen Erinnerungen schwelgen, begonnen bei den Balladen aus den späten 60ern. Lieder, die erzählen von „Spicks & Specks“ oder dem „New York Mining Disaster 1941“ – oft so zuckersüß verpackt, dass die Band von vielen geliebt, aber von manchen auch abgrundtief gehasst wird. Als sauber und bieder gelten sie, dabei saufen und kiffen sie bis zum Umfallen, wie Barry heute erstaunlich offen zugibt. Bis sie sich völlig zerstreiten und trennen. Um nach Jahren der Erfolglosigkeit mit ihrem neuen Disco-Sound eine wahre Bee-Gees-Mania auslösen und Barry zu einem der begehrtesten Songschreiber der Welt wird. Diana Ross, Barbra Streisand, Dionne Warwick oder Kenny Rogers, sie alle feiern mit Liedern aus seiner Feder grandiose Comebacks. Doch schon bald fällt wieder ein Schatten auf den Erfolg. Andy Gibb, den kleinen Bruder der Drei und von ihnen gefördert und berühmt gemacht, kommt mit dem Ruhm nicht klar. Gerade mal 30, stirbt er an den Folgen jahrelangen Drogenmissbrauchs. Der Tod des kleinen Bruders stürzte Barry, Maurice und Robin in ein Loch.
Manches hat man vorher gewusst, einiges vielleicht geahnt. Vieles aber, was die Macher dieser Doku hier zusammengetragen haben, ersetzt einen ins Staunen. Und ehe man sich versieht ist der Film vorbei. Kein „Saturday Night Fever“, aber hervorragende Samstagabend-Unterhaltung – auch wenn man früher lieber die Stones gehört hat.