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Sieben Gründe, warum man zur EM 2016 Ohrstöpsel braucht

Sieben Gründe, warum man zur EM 2016 Ohrstöpsel braucht

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imago61839442h~6e9b0139-7ee4-446c-942b-07a97dbb5c45.jpg Foto: imago/Future Image
Fußballturniere sind harte Zeiten für die Ohren. Auch zur EM buhlen wieder etliche Songs um die Gunst der Fans. Wir haben reingehört.

Hamburg. 

„Haa! Hoo! Heja-heja-hey! Fußball ist unser Leben, denn König Fußball regiert die Welt“: Ach war das schaurig schön, als die Fußball-Nationalmannschaft 1974 versuchte zu singen. Breitner, Hoeneß, Vogts, Beckenbauer und Müller grölten wie eine Horde Schlachtenbummler nach einer bierseligen Auswärtsfahrt. Kein Wunder, dass niemand gemeckert hat, als dieses Team im WM-Finale 74 bei der Nationalhymne stumm blieb.

Und weil es so lange zurück liegt, hier das Lied nochmal – ungekürzt und in voller Länge:

König Fußball regiert die Welt – auch im Pop. Und das im Zweijahresrhythmus von Weltmeisterschaft und Europameisterschaft – sprich Weltmeisterschaft ohne Brasilien und Argentinien. Und ohne Holland. Der Verstand von 80 Millionen Bundestrainern setzt aus, sobald der Ball rollt. Dann zählen nur noch Gemeinschaft, Wille, Kraft und der Sieg. Plötzlich darf Pop-Lyrik nach Frei.Wild klingen.

Man nehme dieses Gefühl auf, schütte es über simple Verse und eingängige Refrains und beschalle die Untertanen von König Fußball so lange in Dauerschleifen (Radio, Spieltagzusammenfassungen, Werbung, Höhepunkten, Rückblicken), bis Song und Sportereignis emotional nicht mehr zu trennen sind. Das klappt nicht immer, aber ein Kick-Hit like Beckham wie „54, 74, 90, 2006“ von den Sportfreunden Stiller oder „Auf uns“ (2014) von Andreas Bourani sind wie ein Titelgewinn für Künstler und Plattenfirmen.

Und so wimmelt es auch in diesem Juni wieder von offiziellen und inoffiziellen EM-Songs. Wir haben uns mal umgehört, und um es vorwegzunehmen: Das Pop-Erlebnis EM 2016 gleicht einer achtstündigen bierseligen Auswärtsfahrt mit einer Horde Hooligan-Veteranen. Gassenhauer, so freundlich für das Gemüt wie eine Althauer-Faust aufs Ohr.

1. „Jeder für jeden“ – Herbert Grönemeyer und Felix Jaehn

Das offizielle Lied der ARD ist „Jeder für jeden“, ein Doppelpass ins Abseits von Herbert Grönemeyer und Felix Jaehn. Deutschlands populärster Sänger und Deutschlands derzeit populärster DJ und Produzent wirken zusammen wie zwei Spielmacher, die versuchen ein ungeliebtes System umzusetzen. „Wir sind fest im Jetzt, es geht auf und nach vorn, eine neue Aufgabe, es wird gespielt, nicht verlor’n“, nuschelt Herbert, und Felix schiebt mit spitzen Fingern 80er-Jahre-Beats und karibische Percussion-Samples unter den angestaubten Klangteppich.

Stellen Sie sich vor, der Stadion-DJ legt beim Pokalhammer VFL Bochum gegen HSV ­(Jaehn ist gebürtiger Hamburger) „Sun Of Jamaica“ (1980) vom Norderstedter One-Hit-Wonder Goombay Dance Band auf. So klingt „Jeder für jeden“: „Es gibt Reste von Zweifeln, die Deine Herzen durchwühlen.“ Reste von Zweifeln sind angebracht, ob irgendjemand ein oder zwei Herzen für diesen Ohrkrepierer hat. Die Kritiken sind jedenfalls weitgehend vernichtend.

2. „Wir sind groß“ – Mark Forster

Das ZDF schickt den in Berlin lebenden Kaiserslauterer Mark Forster und den Song „Wir sind groß“ auf den Platz. „Die Welt ist klein und wir sind groß“ heißt es da wenig bescheiden bei dem Versuch, Andreas Bouranis „Auf uns“ unauffällig und runtergebremst zu kopieren und multifunktional für den Rest des Sportjahres zu bleiben. „Ich trete die Pedale, du hältst meinen Rücken“ – wenn es kein EM-Hit wird, bleibt ja noch die Tour de France im Juli. Hauptsache Frankreich. Ein Lied, das nicht nervt, aber auch keinen Kurven-Chor provozieren wird.

3. „Holt das Ding“ – The Wolvves

Kommen wir zu den Abstaubern und Auswechselliedern. Sky-Fußballkommentator Wolff-Christoph Fuss und seine Band The Wolvves versuchen es mit „Holt das Ding“ und 90er-Jahre-Crossover-Rock. „Es gibt keine richtig guten Fußballsongs, die ein bisschen abgehen. Entweder ist es seichtes Kaufhausgedudel oder es ist ein bisschen Ballermann,“ analysiert er auf „Bild.de“. Sein Song wird wohl kein großes Ding werden, aber mit seiner Einschätzung liegt er gewohnt richtig.

4. „Das ist unser Moment“ – Die JunX

„Das ist unser Moment“ vom Hamburger Schlager-Duo Die JunX ist das entsprechende Käsetheken-Gedöns und für den Ballermann sorgt das bumsfidele Dschungelcamp-Duo Melanie Müller und Micaela Schäfer mit „Ab nach Frankreich“. „Wir wollen ein T wie Tor von Tho-Tho-Thomas Müller!“ krakeelt die Melanie „Müll-Lalala-Schalalalala“, und der billige Eurodance-Beat klötert über Bontempi-Keyboards und Akkordeon-Gefiepe. Ein Sichelschnitt in die Nerven, totaler Müll. Micaela Schäfers Aufgabe ist es übrigens, im Video mit zwei Bällen zu jonglieren, ohne Hände und Füße.

5. „This One’s For You“ – David Guetta und Zara Larsson

International klingt es kaum besser. Das offizielle Uefa-Lied 2016 präsentieren der Pariser DJ-Weltstar David Guetta und das schwedische Casting-Sternchen Zara Larsson. „This One’s For You“ beweist erneut, dass Guetta beim Komponieren ein Drei-Tasten-Keyboard benutzt, und das Lied wäre beim „Eurovision Song Contest“ deutlich besser aufgehoben als im Stade de France. Reißbrett-Taktik im Viervierteltakt.

6. „Together Stronger (C’mon Wales)“ – Manic Street Preachers

Selbst von den so sangesfreudigen britischen Inseln wird man etwas enttäuscht. Das offizielle Lied von Team Wales kommt von den renommierten Edel-Rockern Manic Street Preachers. Aber „Together Stronger (C’mon Wales)“ wurde offensichtlich von der B-Elf der Band aufgenommen und atmet kaum den Geist der Kurven von Swansea und Cardiff. Die Iren pilgern allerdings gelungen mit Seo Linns „Irish Roar“ den Champs-Éllysée entlang und zitieren Details aus Irlands Fußball-Historie: „In South Korea and Japan, Robbie stuck the ball past Kahn.“ Ganz nett, eine Art Folk-Pop-Version von „Three Lions“ (1996) von den Lightning Seeds, dem wohl besten Fußball- und EM-Hit überhaupt. Auf dem ruht sich England aus wie auf dem WM-Titel von 1966. Der diesjährige Beitrag Englands steht noch aus.

7. „I Was Made For Lovin’ You (My Team)“ – Skip The Use

Und der Geheimfavorit? Der kommt aus Frankreich mit der offiziellen Hymne der französischen Fans: Zwar ist „I Was Made For Lovin’ You (My Team)“ von der Rockband Skip The Use nicht mehr als eine Coverversion des Discoheulers von KISS und sorgte bei französischen Patridioten – englische Texte! Mon Dieu! – für gallischen Zorn, aber der Song haftet im Ohr wie eine linke Klebe. Volltreffer.

Außer Konkurrenz: EM-Song für „besorgte Bürger“ von Revolverhold und „Extra 3“

„Extra 3“ veröffentlichte am Donnerstag auch noch eine EM-Hymne für besorgte Bürger, präsentiert von Christian Ehring, Revolverheld und Heinz Strunk: „Boateng und Gomez tut Dir weh, ist Mustafi denn auch DFB? Und Khedira ist deutsch? Du hältst es nicht aus, keine E, keine M, Du musst geh’n.“ Ein Saitenhieb auf jene, für die „echte Deutsche“ eher Breitner und seine Sportkameraden waren. Die Jungs, die keine Hymne sangen, sondern „Haa! Hoo! Heja-heja-hey!“

Dieser Text ist zuerst auf abendblatt.de erschienen.