Schiedsrichterobmann Manfred Amerell klagt gegen die pikanten Beschuldigungen von Schiedsrichter Michael Kempter – aber wohl mit wenig Aussicht auf Erfolg. Einer von Kempters Vorwürfen: „Er hat mir seine eklige Zunge in den Mund gesteckt“.
Hechingen.
Saal 168 ist ein heller Raum, mit hohen Wänden, Stuck an der Decke und sechs großen Fenstern, durch die viel Licht dringt. Es ist ein freundlicher Raum, vielleicht hat ihn das Landgericht Hechingen mit Bedacht ausgewählt, weil man befürchten musste, dass dieser Prozess schmutzig wird. Vielleicht hat man deshalb auch Richter Alexander Meinhoff die Auseinandersetzung zwischen dem ehemaligen DFB-Schiedsrichterobmann Manfred Amerell und dem auf Eis gelegten Bundesliga-Schiedsrichter Michael Kempter anvertraut. Meinhoff wirkt freundlich und gelassen. Wahrscheinlich ist das ein Glücksfall für einen Zivilprozess, in dem sich ein 63-Jähriger und ein 28-Jähriger gegenüberstehen und sich gegenseitig mit intimen Details ihrer Beziehung beschmutzen.
Zivilprozess um 150 000 Euro Schadensersatz
Ein Jahr ist es her, dass diese Schiedsrichter-Affäre den Profifußball aufgewühlt hat. Die Rollen haben sich seither vertauscht: Amerell war nach Kempters Vorwürfen, der 63-Jährige habe ihn sexuell belästigt, von allen Ämtern beim DFB zurück getreten. Er hat seither stets beteuert, zu Zärtlichkeiten sei es nur im gegenseitigen Einvernehmen gekommen. In Hechingen, dem für Kempter zuständigen Gerichtssitz eine Autostunde südlich von Stuttgart, geht es im Zivilprozess um 150 000 Euro Schadensersatz, die Amerell von Kempter fordert, weil dieser in mehreren Interviews behauptet hatte, Amerell habe ihn über Jahre hinweg sexuell bedrängt. Amerell schoss öffentlich zurück, seither kennt ganz Fußball-Deutschland den Inhalt privater E-Mails und SMS – samt intimer Details.
Auch in Hechingen wird keine Seite zurückstecken. Amerell nicht, der sich von den Münchener Anwälten Jürgen Langer und Lutz Paproth vertreten lässt, der als erster in den Saal kommt, angespannt, den Blick unstet. Das legt sich im Laufe der vierstündigen Verhandlung, Amerell ist es, der später angriffslustig den Blickkontakt zur anderen Seite des Saals sucht, dort wo Michael Kempter sitzt.
Es bleibt beim Versuch. Kempter fühlt sich spürbar unwohl, schaut selten auf, und wenn, dann zum Vorsitzenden. Kempters Anwalt Christoph Schickhardt beginnt diesen Prozess mit einer Inszenierung: Er lässt Kempter an der Seite seiner Kollegin Leonie Frank in den Saal kommen. Später führt Schickhardt das Wort, aber Frank ist eine Frau mit der Figur eines Top-Models, sie steht in jeder Verhandlungspause an der Seite Kempters.
Die Wahrheit ist kaum zu erkennen
Tatsächlich geht es aber nicht um Bilder, sondern um die Glaubwürdigkeit des 28-Jährigen. Er schildert detailliert Amerells angebliche Übergriffe, die sich, und das ist neu, schon früh angebahnt haben sollen. Der erste Kuss: am 11. Mai 2008 im Aufzug eines Kölner Hotels. „Er hat mir seine eklige Zunge in den Mund gesteckt“, sagt Kempter. Da will er schon sieben Jahre hinter sich gehabt haben, in denen er – jung, überfordert und wohl auch in Sorge um die Karriere – eine schleichende Entwicklung geduldet habe.
Amerell, auch das ist in dieser Form neu, streitet alles ab. Manchmal zeichnet er ein so düsteres Bild von Kempter, dass man sich fragt, warum es überhaupt so weit zwischen den beiden kommen konnte – einvernehmlich, wie Amerell wieder und wieder betont.
Dass dieser Tag nicht in die totale Schmutzschlacht ausartet, liegt vor allem am Vorsitzenden. Er nimmt Bösartigkeiten mit seiner Gelassenheit die Spitze. Und er gibt das Verfahren nie aus der Hand.
Trotzdem bleibt vieles offen. Die Wahrheit ist kaum zu erkennen, es gibt auch kein Urteil, beide Seiten werden neue Schriftsätze einreichen. Für den 18. April ist der nächste Termin angesetzt. Am Ende ist es wie so oft: Anwälte treten vor die Kameras und geben sich als Sieger. Was aber aus der Beratung, zu der Richter Meinhoff kurz vor Verhandlungsende gebeten hat, heraus dringt, ist dies: Die Chancen, dass Amerell Erfolg hat, stehen offenbar nicht gut. Meinhoff soll zu einer Einigung geraten haben. Es gibt, das ist wohl der Eindruck des Richters, schon genug Verlierer.