Taube Ohren, ständige Entzündungen, nur noch atmen durch den Mund und dann wird auch das immer schwerer. Vergrößerte Rachenmandeln (Polypen) können bei Kindern ständige Krankheiten und sogar Sprachentwicklungsstörungen bedeuten. Wenn eine OP medizinisch notwendig ist, zahlen die Krankenkassen den Eingriff. Doch das bedeutet nicht, dass dem Kind geholfen werden kann.
Gleiches gilt für Kinder, die chronisch entzündete oder vergrößerte Gaumenmandeln haben. Entzündungen, Schmerzen und Antibiotika sind auf einmal nichts Ungewöhnliches mehr für die Kleinen, die oft noch nicht einmal im Vorschulalter sind. Sowohl die Gaumenmandel-OP, als auch die Polypen-OP sind vergleichsweise schwere Eingriffe. Sie können teilweise aber ambulant durchgeführt werden – wenn man einen Arzt auftreiben kann.
Dicker Hals – kein Arzt kann helfen
Dort liegt das Problem. Eltern müssen teilweise Monate lang einen Arzt suchen, der ihr Kind operiert. Viele HNO-Ärzte haben die OPs zeitweise oder ganz eingestellt. Der Grund ist die zu geringe Vergütung, die die Ärzte von den Krankenkassen für den Eingriff erhalten. Die Erstattungsbeiträge, die von den Krankenkassen an die HNO-Ärzte für Mandeloperationen gezahlt werden, seien schon lange zu niedrig, erklärt Jan Löhler, unserer Redaktion. Er ist Präsident des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte (BVHNO).
„Anstatt die Entwicklungen, wie die Inflation, Energiekrise und den Fachkräftemangel zu berücksichtigen, wurden die Erstattungsbeträge für die Eingriffe zu Beginn 2023 von den Krankenkassen erneut gekürzt. Das bedeutet, dass die Mandeloperationen für Ärzte defizitär sind, Ärzte also de facto Geld in die Operation miteinbringen müssen. Dieses Geld bekommen sie von den Krankenkassen nicht erstattet“. Auf die Kürzung der Beiträge Anfang 2023 hin hatten viele HNO-Ärzte gestreikt und nur noch akute Fälle operiert. Mittlerweile sind viele wieder zum normalen Geschäft übergegangen, an den Kosten für die OPs hat sich aber nichts geändert.
Momentan würden von den Krankenkassen 110,99 Euro für eine Entfernung der Polypen und 180,68 Euro für eine Mandeloperation bezahlt, erklärt der BVHNO-Präsident Löhler. Von diesen Beträgen müssten alle mit der OP verbundenen Kosten beglichen werden. Beispielsweise OP-Miete, Personal, Wartung und Aufbereitung der Instrumente. Außerdem Versicherungen, sicherheitstechnische Kontrolle und der parallel weiterlaufende Praxisbetrieb sowie die 24/7-Rufbereitschaft nach dem Eingriff. Löhler dazu: „Unter diesen Umständen kann kein Kind qualitätsgesichert operiert werden. Zumal der Eingriff unter Vollnarkose an den Atemwegen und mit dem Risiko von Nachblutungen viel Erfahrung verlangt.“
Immer weniger Ärzte operieren die Kinder
Die HNO Ärzte wünschen sich deswegen, dass die Krankenkassen auf diese Mehrkosten eingehen. „Jüngst wurde zum Beispiel eine Gehaltssteigerung mit den Medizinischen Fachangestellten ausgehandelt. Das ist absolut gerechtfertigt, weil unsere MFA einen sehr guten Job machen und wir ohne sie schlichtweg nicht arbeiten könnten. Die Gehaltssteigerung muss aber gegenfinanziert werden. Anders, als es die Krankenkassen behaupten, schwimmen die niedergelassenen Ärzte nicht im Geld“, erklärt Löhler.
Daraus ergibt sich ein weiteres Problem: Immer mehr HNO-Ärzte entscheiden sich dagegen, den Eingriff in ihrer Praxis anzubieten. „Aufgrund der schlechten Bezahlung und den steigenden Kosten ist es bereits vor unserem Protest Anfang 2023 zu einem Versorgungsnotstand gekommen“. Der Bundesverband der HNO-Ärzte hat die Zahlen für Berlin ausgewertet. „Waren es 2019 noch 183 Ärzte, die die Polypenentfernung samt Paukenröhrcheneinlage angeboten haben, sind es 2022 nur noch 91 Ärzte gewesen“.
+++Techniker Krankenkasse will Versicherte aufwecken – DIESES Risiko nimmt kaum einer ernst+++
Die Konsequenzen seien lange Wartezeiten für die Kinder, erklärt Löhler. „Das ist insbesondere schlecht, da viele junge Kinder betroffen sind“. Diese haben durch die geschwollenen Mandeln oft Hörprobleme und das in einer Zeit, die wichtig für ihr Spracherlernen ist. „Es kann zu langfristigen Sprachproblemen kommen, es sei denn, die Kinder werden mit Hörgeräten versorgt“. Dies wäre „langfristig weitaus teuer, als die Preiserhöhung, die wir für die ambulanten Operationen fordern“, so Löhler.
Die Kosten bei einem stationär durchgeführten Eingriff in einer Klinik sei weit höher für das Gesundheitssystem, mahnt Löhler an. Viele der Eltern, die keinen Arzt für das Leiden ihres Kindes finden, wenden sich an die Kliniken. Doch auch die sind überlastet.
Das Statement der Krankenkassen
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) weist auf Anfrage unserer Redaktion darauf hin, dass die Vergütung der ambulanten HNO-Operationen im letzten Jahr, betrachtet man alle Kategorien, insgesamt um 2,3 Prozent gestiegen sei. „Die Neubewertung hatte vor allem zwei Gründe. Zum einen sollten die Relationen der ambulanten OPs im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) angepasst, die relative Überbewertung kleinerer Eingriffe behoben werden. Zum anderen ist die angepasste Bewertung ein weiterer Schritt zur Verlagerung solcher Eingriffe aus dem stationären in den ambulanten Bereich.“
Ein Punkt dabei sei die Neubewertung des Einsatzes von Paukenröhrchen bei Kindern. Dieser ist mit vier Euro weniger vergütet als zuvor. Auf diese vier Euro werde oft verwiesen, um den Streik der HNO-Ärzte zu begründen, so der GKV. „Werden die Entfernung der Polypen und das Einsetzen des Paukenröhrchens in einem Eingriff vorgenommen, gibt es dafür Zuschläge, die um 17 Euro erhöht wurden. Es gibt also dann mehr Geld als vorher“, so Jens Ofiera, Pressesprecher der GKV.
Auch lesenswert:
Er weist auch auf die gestiegene Zahl der Operationen an den Mandeln hin. „Nach rund 26.000 Operationen an Gaumenmandeln und Polypen im ersten Halbjahr 2022, waren es im ersten Halbjahr 2023 rund 31.000 solcher Eingriffe. Ein Anstieg um 19 Prozent.“ Dies zeige, mit welch großem Engagement sich die niedergelassenen HNO-Ärzte um ihre Patienten kümmern. „Vor diesem Hintergrund ist es für uns noch weniger verständlich, dass offenbar viele HNO-Ärzte an ihrer Weigerung, Kinder zu operieren, festhalten. Die Kampagne der HNO-Ärzte ist aus unserer Sicht unethisch. Sie tragen die Forderungen nach noch mehr Geld auf dem Rücken von Kindern aus.“