Schon als Kind in Schalke-Bettwäsche geschlafen? Er hat es wirklich. Timo Becker schaffte es aus der Nordkurve auf den Rasen. Vielleicht noch nie hat ein so glühender Fan des FC Schalke 04 auch für Königsblau gespielt. Der große Durchbruch blieb ihm verwehrt. Im Sommer 2022 folgte der Niederschlag: Alles vorbei, Schalke will ihn nicht mehr.
Becker verdaute den Schock, kriegte die Kurve und freut sich nun auf einen ganz besonderen Tag. Mit Holstein Kiel kehrt er zu seiner alten Liebe zurück. Erstmals in seiner Karriere erwartet ihn die knüppelvolle Arena als Gegner. Für seine Rückkehr hat er einen ganz besonderen Wunsch.
FC Schalke 04: Timo Becker vor Rückkehr – „Dürft mich gerne auspfeifen“
Vor der emotionalen Rückkehr in sein Wohnzimmer hat er DER WESTEN sein Herz geöffnet. Wie es ihm in Kiel geht, wie er den harten Schalke-Abschied verdaut hat und ob der FC Schalke 04 trotz des Rumpelstarts aufsteigt, liest du hier.
DER WESTEN: Hi Timo! Wie geht’s dir? Was macht der Knöchel?
Timo Becker: „Mir geht’s wieder gut, ich bin nach meinem Syndesmose-Riss endlich wieder fit und kann mittrainieren. Etwas früher als gedacht, zum Glück.“
Eine Punktlandung! Am Freitag geht’s auf Schalke – kommt das für dich so wichtige Spiel zu früh?
„Nein! Als wir gemerkt haben, dass der Heilungsverlauf stimmt, haben der Arzt und ich dieses Spiel als Ziel gesetzt. Ich rechne mir sehr gute Chancen aus.“
Drei Spiele, drei Siege und nur ein Gegentor. Kiel ist richtig gut gestartet. Dann kam ein 2:4 gegen Magdeburg. Was war da los?
„Die Liga spielte am Anfang ein bisschen verrückt. In vielen Spielen war völlig unklar, wer da jetzt Favorit ist. Wir hatten einen guten Start, auch dank eines gewissen Spielglücks. Magdeburg tickt ähnlich wie wir, hat viel Offensivdrang. Gleichzeitig haben sie uns mit ihren Fehlern auch eingeladen. Leider haben wir am Ende mehr Fehler gemacht. Das war ein Dämpfer. Aber manchmal tut der vor so einem Spitzenspiel sogar gut.“
Jede Zweitliga-Saison spült ein Sensationsteam nach oben. Hinter vorgehaltener Hand tuscheln Experten über Kiel als Geheim-Aufstiegskandidat. Schielt ihr drauf? Glaubt ihr dran?
„Jeder Fußballer zockt, damit er was erreicht. Wir sind ein etablierter Zweitligist und natürlich wünscht sich jeder das Bestmögliche – das ist der Aufstieg. Aber intern ist das überhaupt kein Thema. Das ist weit weg. Am Anfang der Saison ist es Blödsinn, an so etwas Gedanken zu verschwenden. Der Start war positiv. Jetzt bin ich gespannt, wie wir uns in so einer lauten Arena schlagen.“
Du sagst es. Jetzt geht’s auf Schalke. Erst dein zweites Spiel gegen deine große Liebe. Wie fühlt sich das an?
„Das erste habe ich mit Rostock spektakulär gewonnen (4:3, Anm. d. Red.). Damals haben wir leider nicht vor der ganz großen Kulisse gespielt. Die Ultras waren nach Corona noch nicht zurück. Es war trotzdem ein tolles Erlebnis. Siegtor in der letzten Minute, was Besseres kann man gar nicht erleben. Jetzt freue ich mich, dass ich zum ersten Mal als Gegner vor voller Hütte spielen darf. Das ist schon mächtig. Ich freue mich auf die Rückkehr, die Fans, all die bekannten Gesichter, die Stimmung.“
Was für ein Empfang erwartet dich da?
„Ich bin so ein Typ, der denkt: Ich komme da als Gegner an, ihr braucht mich jetzt nicht hochleben lassen. Ich will ja gegen euch gewinnen! (lacht) Ich freue mich, vor dem Spiel die bekannten Gesichter zu sehen und den alten Freunden zuzuwinken. Im Spiel brauchen sie mich nicht anfeuern. Da dürfen sie mich beleidigen und auspfeifen. Nach dem Spiel drehe ich dann gerne ne kleine Runde durch das Stadion.“
Ihr seid auf Schalke der Außenseiter, das dürfte klar sein. Mit Finn Bartels und Ex-Schalker Fabian Reese hattet ihr zwei schwerwiegende Abgänge, dafür unter anderem mit Shuto Machino spannende Neuverpflichtungen. Ist Holstein Kiel besser als letzte Saison?
„Das ist immer schwer zu beurteilen. Letztes Jahr hatten wir vielleicht in der Spitze mehr Qualität, dafür fühlt es sich so an, dass wir dieses Jahr als Mannschaft stärker sind. In Saudi-Arabien scheint ein guter Spieler zu reichen. Aber ich sage: Auf der langen Strecke gewinnt immer das Team. Die neue Truppe ist spannend, wir haben super Transfers gemacht und schnell zusammengefunden.“
Dein Schalke-Kapitel ist seit nun einem Jahr vorbei. Inwieweit konntest du mit dem für dich sehr emotionalen Thema inzwischen abschließen?
„Ich bin traurig, wie das alles gelaufen ist. So gehen zu müssen bei meinem Herzensverein – das habe ich mir natürlich ganz anders vorgestellt. Aber das ist Fußball. Ich habe in Kiel einen Klub gefunden, bei dem ich von Anfang an superglücklich war. Dadurch konnte ich den traurigen Aspekt des Wechsels ganz schnell hinter mir lassen und konnte direkt glücklich reinstarten. Das Band bleibt natürlich immer erhalten. Meine Kumpels stehen in der Kurve, ich gucke jedes Spiel, man ruft sich an und freut sich, wenn die Blauweißen gewonnen haben.“
Von der Ablehnung des Herzensklubs erholen sich manche Spieler nie wieder. Du bist direkt wieder durchgestartet. War die Entscheidung für die Störche deshalb die wichtigste in deiner bisherigen Karriere?
„Auch das halbe Jahr in Rostock hat mir geholfen. Bis dahin habe ich nur zuhause gewohnt, war nie bei den Eltern ausgezogen. Dann stand ich plötzlich in der „richtigen“ Fußballwelt. Das hat mich geprägt. Der Erfolg durch den Klassenerhalt kam dazu. Da hatte ich noch die große Motivation: Ok, wenn ich mich jetzt zeige – wer weiß, wer bei Schalke der nächste Trainer wird. Vielleicht habe ich noch eine Chance. Dann folgte der Dämpfer. Mir wurde gesagt, dass ich komplett raus bin. Ich hätte pokern können, hatte ja noch einen Vertrag. Ich weiß aber nicht, ob ich damit glücklich geworden wäre. Kiel war deshalb eine sehr prägende Entscheidung. Ich habe den Bauch entscheiden lassen, habe mich für meine Karriere und gegen mein Herz entschieden. Und ich habe alles richtig gemacht.“
Auf Schalke rumpelt es zum Start. Steigt der S04 trotzdem auf?
„Ich weiß, wie schwer die 2. Liga ist. Der Weg ist lang und sehr, sehr hart. Aber Schalke hat die Charaktere. Ein Terodde, ein Drexler wissen, wie es geht. Auf lange Strecke wird Schalke es schaffen.“
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Zum Schluss: Am Freitag triffst du, wenn du denn spielst, auf deiner Außenbahn einen besonders guten Freund. Wird’s bei dir und Thomas Ouwejan krachen?
(Schmunzelt) „Bei unserem gemeinsamen Jahr auf Schalke war es eher so: Ich weiß immer, was er macht, er weiß immer, was ich mache. Jeder der mich kennt, weiß: Ich gebe alles. Egal, wer mir gegenübersteht. Da kanns auch mal ruppiger werden. Absichtlich foulen werde ich natürlich nicht und am Ende setzen wir uns auf ein Kaltgetränk zusammen. Er sollte aber wissen: Ich hab mir ’n paar neue Tricks angeeignet (lacht).“