Berlin.
Freihandel – das klingt immer gut. Das klingt nach Freiheit, nach Wohlstand und nach Frieden. Und er ist für Ökonomen seit den wegweisenden Arbeiten des Briten David Ricardo im Jahr 1821 eine der verlässlichsten Wohlstandsmaschinen. Wachstum und Arbeitsplätze soll auch das Freihandelsabkommen TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“) zwischen den USA und Europa schaffen. Doch der Glaube daran schwindet, die Kritik wächst. Verbraucherschützer und NGOs rufen zum Widerstand auf. Die Gegner haben fast eine halbe Million Unterschriften gegen TTIP gesammelt, die Politik ist aufgeschreckt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu TTIP.
Warum wollen die USA und Europa überhaupt noch ein Freihandelsabkommen unterzeichnen – es gibt doch ohnehin schon einen intensiven Handel und kaum noch Zölle?
Der Warenaustausch zwischen den beiden Blöcken umfasst tatsächlich schon nahezu die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Bei TTIP stehen indes weniger Zölle als der Abbau von sogenannten „nicht-tarifären Handelshemmnissen“ im Vordergrund. Das können Produktstandards, Normen, aber auch Regelungen sein, die den Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte und kulturelle Themen wie Urheberrechte betreffen.
Was sagen die Befürworter?
Durch mehr Handel verspricht sich die EU einen Zuwachs der Wirtschaftsleistung und Hunderttausende neue Jobs. Die deutsche Autoindustrie etwa würde gerne überall die gleichen Blinker, Gurte und Stoßstangen verbauen. Auch Maschinenbauer versprechen sich durch eine Vereinheitlichung von zahlreichen Regeln eine Kostensenkung. Das komme am Ende den Verbrauchern zugute, verspricht die Wirtschaft. Auch das Thema Zölle ist trotz zahlreicher GATT- und WTO-Runden nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht abgehakt: Die deutsche Autoindus-trie zahlt nach eigenen Angaben eine Milliarde Euro an Zöllen pro Jahr bei Ausfuhren in die USA.
Wie realistisch sind die Hoffnungen der Befürworter?
Vorhersagen über Wachstum und Arbeitsplätze durch den Abbau von Handelsschranken sind in Wahrheit kaum möglich. Die Forscher, die einen Blick in die Kristallkugel wagen, erwarten aber kaum nennenswerte Effekte, weil der Warenaustausch zwischen den USA ohnehin schon sehr intensiv ist. Starke Wohlstandseffekte hat eine Handelsliberalisierung meist nur dann, wenn die Märkte vorher stark abgeschottet waren. Skeptiker bestreiten, dass das Abkommen überhaupt positive wirtschaftliche Effekte zeigen wird.
Was sagen die Gegner sonst noch?
Die globalisierungskritische Organisation Attac etwa meint stellvertretend für viele TTIP-Gegner, das Abkommen stärke allein die „Macht der Konzerne“ und schränke die Gestaltungsmöglichkeiten demokratischer Gesellschaften ein. Dazu ein Beispiel: Mit die größte Kritik entzündet sich an den geplanten Vereinbarungen zum Investorenschutz. Dabei sollen Unternehmen ein Klagerecht vor internationalen Schiedsgerichten bekommen, wenn sie ihre Investitionen etwa durch Umweltauflagen gefährdet sehen. Das Problem dabei: Die Urteile der Schiedsgerichte erlauben keine Revision vor nationalen Gerichten, sie stehen damit über den Gerichten der nationalen Rechtsstaaten. Ein Missbrauch durch Konzerne liegt also nahe. Deutschland hat zwar ähnliche Verträge schon mit 130 Staaten abgeschlossen. Sinnvoll sind solche Abkommen aber eigentlich nur, wenn ein Handelspartner keinen funktionierenden Rechtsstaat hat. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich deshalb dagegen ausgesprochen.
Warum könnte TTIP eine Gefahr für die Demokratie sein?
Die Verhandlungen finden weitgehend im Verborgenen statt. Die Öffentlichkeit weiß gar nicht, was die Handelsbeauftragten beider Seiten genau verhandeln. Die öffentliche Debatte ist auf Indiskretionen und Mutmaßungen angewiesen. „Die Vertragsverhandlungen finden ohne Transparenz, ohne Debatte und Beteiligung der demokratisch gewählten Parlamente statt“, kritisiert Campact. Auch das hält Wirtschaftsminister Gabriel inzwischen für falsch – und fordert, den Bundestag stärker einzubeziehen.
Was können Verbraucher von TTIP erwarten?
Mehr Handel, mehr Wettbewerb und günstigere Preise, folgt man den Befürwortern und der klassischen Handelstheorie. Glaubt man den Kritikern, müssen sich Bürger auf eine ganze Reihe von Nachteilen einstellen. Weniger Verbraucherschutz, weniger Umweltschutz, mehr Privatisierungen in kritischen Bereichen wie der Wasserversorgung, weniger Datenschutz und anderes mehr. Chlorhühnchen, Gen-Mais und Hormonfleisch stehen symbolisch für das gefürchtete Absenken von Standards. Das bestreiten die Verhandler – es gehe nicht um das Senken von Standards, sondern um deren Harmonisierung.