Veröffentlicht inPolitik

Hannelore Kraft weht der Wind ins Gesicht

Hannelore Kraft weht der Wind ins Gesicht

Düsseldorf. 

Kein Politiker in Nordrhein-Westfalen kann der populären Hannelore Kraft (SPD) in Umfragen das Wasser reichen. Mit ihrer bodenständigen, direkten Art trifft die Ministerpräsidentin aus dem Ruhrpott den Ton der Bürger. Seit kurzem aber ist die Harmonie getrübt: Es läuft nicht rund für Kraft. In fast allen Leistungsvergleichen rangiert NRW auf hinteren Plätzen: Mit der Haushaltssperre dokumentierte die Regierungschefin, dass dem Land das Wasser bis zum Hals steht. Weil die Landesregierung Gästen nur noch Leitungswasser statt Kaffee und Orangensaft serviert, sieht die Opposition einen peinlichen Tiefpunkt erreicht in der Ära Kraft.

Berliner Haifischbecken

Beim Amtsantritt vor vier Jahren hatte die Ministerpräsidentin noch großzügig Wohltaten verteilt: Wegfall der Studiengebühren, Streichung der Elternbeiträge im letzten Kita-Jahr, Ende der Stellenkürzungen. Jetzt muss das mit 138 Milliarden Euro hochverschuldete NRW mit Blick auf die Schuldenbremse 2020 den Kurs wechseln. CDU-Landeschef Armin Laschet glaubt angesichts unpopulärer Sparzwänge erste Anzeichen von Amtsmüdigkeit bei der Regierungschefin zu erkennen: „Kraft taucht ab.“ Auch der liberale Oppositionsführer Christian Lindner vermisst politische Führungskraft. „Kraft will nur noch repräsentieren, nicht mehr regieren.“

Abseits der Oppositionsrhetorik wächst auch im rot-grünen Regierungslager die Unruhe. Es gibt immer mehr Probleme, aber kaum Konzepte in der Krise. Dass die Ministerpräsidentin im Frühjahr losplauderte, sie fände mit ihren Fähigkeiten auch außerhalb der Politik eine Aufgabe, hat Spekulationen über die persönliche Lebensplanung der 53-jährigen Ökonomin entfacht. Dabei hat ihr Hinweis, sie fühle sich im Berliner Haifischbecken unwohl, den Einfluss der SPD-Vizevorsitzenden auf Entscheidungen im Bund nicht erhöht.

Die Landesregierung steht unter Druck: NRW hat die höchste Arbeitslosenquote im Westen, jeder dritte Langzeitarbeitslose lebt hier. Die Steuereinnahmen brechen ein, bei der Verschuldung nehmen Revierstädte wie Oberhausen bundesweit vordere Plätze ein. Im Ruhrgebiet sinken die Einwohnerzahlen, stehen Wohnungen leer, fehlt Geld zur Sanierung maroder Straßen und grauer Stadtviertel. Und an den Hochschulen leistet sich NRW die bundesweit schlechteste Betreuungsrelation. Für das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) ist NRW ein „Sorgenfall“.

Hannelore Krafts Vorzeigeprojekt „Kein Kind zurücklassen“, also frühe Vorsorge statt teurer Nachsorge, zeigt allerdings laut Bertelsmann-Studie erste Wirkungen. „Vorbeugen funktioniert“, heißt es. Kinder, die vor dem dritten Lebensjahr in die Kita gehen, sind „in nahezu allen Entwicklungsbereichen weiter fortgeschritten“. Die Bilanz wird aber getrübt durch den aktuellen Bildungsmonitor der deutschen Wirtschaft: Da stürzte NRW auf den vorletzten Platz ab. Fast überall in Deutschland sind die Aufstiegschancen für bildungsferne Schichten besser als in NRW.

Als Bundespräsidentin gehandelt

Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) macht die Benachteiligung im Länderfinanzausgleich verantwortlich für die leere Landeskasse. Schließlich überweise NRW jährlich netto 1,4 Milliarden Euro über Umsatzsteuer und Finanzausgleich an arme Bundesländer. Die Folge: Länder wie Sachsen bejubeln ausgeglichene Haushalte – NRW fehlen 2014 rund drei Milliarden Euro in der Kasse. Auch die großen Energiekonzerne, die wie RWE und EON jahrzehntelang zuverlässig Milliarden Euro Steuern in die Kommunen gespült haben, stecken seit der Energiewende in der Krise.

Bisher haben die schlechten Zahlen der Popularität von Hannelore Kraft nicht geschadet. Die Mülheimerin gilt den Genossen weiter als Garant für Wahlsiege. Im Streit mit den Gewerkschaften um die Beamtenbesoldung aber hat es einen ersten Knacks gegeben. Krafts Versuch, höheren Beamten zwei „Nullrunden“ aufzudrücken, scheiterte vor dem Verfassungsgericht. Neue Sparrunden 2015 aber sind unvermeidbar. In der Opposition wird offen gemutmaßt, dass die amtsmüde Ministerpräsidentin Kraft 2017 ins Amt der ersten Bundespräsidentin flüchten möchte. Krafts grüne Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann hält das für oppositionelles Wunschdenken. „Die Ministerpräsidentin ist putzmunter.“