Kassenpatienten, die nicht innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Facharzt bekommen, sollen künftig die Ambulanzen der Krankenhäuser aufsuchen können. So wollen es die künftigen Koalitionspartner Union und SPD. Das Echo auf den Plan ist geteilt.
„Das ist nicht mehr als Augenwischerei. Dieser Kompromiss wird wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen“, sagt Uwe Brock, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein und Hausarzt in Mülheim. Er nennt drei Gründe, warum das Modell nicht funktioniere: In den Ambulanzen der Kliniken fehle Personal, weil dort in der Regel nur Ober- und Chefärzte tätig sein können. Laut Marburger Bund fehlen in Deutschland einige Tausend Ärzte.
Komplexe Krankheitsbilder
Aber auch die Finanzierung sieht Brock nicht gesichert: „Wenn mehr Patienten in die Ambulanzen gehen, bekommen die Krankenhäuser für die einzelne Leistung weniger Geld, weil das System gedeckelt ist.“
Schon jetzt sind die Ambulanzen am Abend und an Wochenenden überlastet, weil die Patienten zum Teil aus Unwissenheit nicht in die zuständigen Notfallpraxen der niedergelassenen Ärzte, sondern gleich in die Krankenhäuser gehen. Dieser Trend zeichnet sich bundesweit ab: Die Notfallambulanzen behandeln jährlich zwischen drei und vier Prozent mehr Patienten. Experten führen das nicht nur auf komplexer werdende Krankheitsbilder zurück. Aus Angst um ihre Jobs trauen sich immer weniger Beschäftigte, während der Arbeitszeit zum Arzt zu gehen. Sie suchen stattdessen die Krankenhäuser auf, die im Gegensatz zu vielen Praxen auch spätabends und am Wochenende geöffnet haben.
Bei der Bewertung der Berliner Pläne halten sich die Kliniken noch zurück. In den Stoßzeiten seien die Ambulanzen jetzt schon voll, heißt es aus einem großen Dortmunder Krankenhaus. Auch in Mülheim wachsen die Patientenzahlen stetig.
Bei den Koalitionsverhandlungen haben sich Union und SPD darauf verständigt, die oft sehr langen Wartezeiten für einen Arzttermin zu verkürzen.
Bekommen gesetzlich Versicherte künftig innerhalb von vier Wochen keinen Facharzttermin, sollen sie zur Behandlung ins Krankenhaus gehen können. Verantwortlich für die Terminvergabe innerhalb der Vierwochenfrist sollen die für niedergelassene Ärzte zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen sein. Geht der Patient ins Krankenhaus, soll dies aus dem Kassen-Budget für die Ärzte bezahlt werden.
„Bloße Luftakrobatik“
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung lehnt den Plan nicht von von vornherein ab. Ihr Präsident Andreas Köhler stellt aber infrage, dass eine pauschale Frist von vier Wochen für einen Facharzttermin ohne die Prüfung der medizinischen Notwendigkeit sinnvoll ist.
Als „bloße Luftakrobatik“ wertete der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, die Pläne. Die Kliniken seien selbst schon überlastet. „Wie sollen Krankenhäuser, die ihren Betrieb vielfach nur noch durch Honorarärzte und ausländische Kollegen aufrechterhalten können, die ambulante Facharztversorgung entlasten?“, kritisierte Reinhardt. Die gesetzlichen Krankenkassen sprachen von einem „guten Signal“.