Konfliktforscher warnt: Pegida wird erstarken – auch in NRW
Mit den steigenden Flüchtlingszahlen verzeichnet die Gruppe wieder Zulauf
Die Wut wächst, stellen Beobachter wie der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick fest
Auch NRW sei punktuell gefährdet
Essen.
Wer gehofft hatte, dass die Wut der Pegida-Marschierer über kurz oder lang verrauchen würde, sieht sich ein Jahr nach Gründung der Bewegung enttäuscht. Mit den steigenden Flüchtlingszahlen verzeichnet die Gruppe wieder Zulauf. Tausende gehen wöchentlich in Dresden auf die Straße, um pauschal gegen Asylbewerber, Flüchtlinge und Islamisierung zu protestieren.
Dabei wird der Ton schärfer, steigen die Aggressionen, wie nicht nur die symbolhaften Galgen zeigten. Asylbewerber werden als „Invasoren“ verunglimpft, die nur faul auf den Feldbetten „herumlungern“, wie Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling pöbelte. Kritische Passanten werden am Rande der Demonstrationen beschimpft, bespuckt, geschlagen und getreten.
Radikaler und aggressiver
Die Wut wächst, stellen Beobachter wie der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick fest. „Was wir im Dezember 2014 prognostiziert haben, ist eingetreten: Pegida ist radikaler und aggressiver geworden und hat die Grenzen für Extremisten aufgemacht“, sagt Zick, der an der Ruhr-Uni Bochum sein Diplom in Psychologie erwarb und über „Vorurteile und Rassismus“ promovierte. „Das wird sich weiter verschärfen“, glaubt der Forscher, „weil eine Gruppe, die sich so abschottet und wöchentlich den Konflikt sucht, nach innen die Reihen noch fester schließen muss und von der Auseinandersetzung lebt.“ Also werde sich die Bewegung weiter radikalisieren – und Dresden zum Sammelbecken verstreuter Gruppen.
In Duisburg gingen vergangenen Montag rund 200 Pegida-Anhänger auf die Straße – flankiert von 70 Gegendemonstranten, die sich kurzerhand vor den Umzug auf die Straße setzten. Wächst nun mit der Flüchtlingskrise die Gefahr, dass Pegida auch in NRW und im Ruhrgebiet stärker Fuß fassen und sich ausbreiten wird? Zick warnte bereits vor Monaten: „Auch hier gibt es gewaltbereite Rechtsextreme, Hooligans, Islamgegner und Unzufriedene.“ Ein Funke genüge – ein ausufernder Streit um eine Asylunterkunft, ein Vorfall mit Flüchtlingen – dann könne eine Stadt in NRW viele Pegida-Sympathisanten auf die Straße bringen.
Ein Soli für Integration
Bisher äußerten sich Wut und Hass im Westen aber noch vorwiegend im Internet, „manche reisen nach Dresden, und sie werden sich in ihrem Glauben gestärkt fühlen“, sagt Zick. Als Bremse wirke in den Städten des Ruhrgebiets bislang „eine starke Zivilgesellschaft mit Migrationsgeschichte, die man nicht zurückdrehen kann. NRW hat auf die Anerkennung von Vielfalt gebaut und das zahlt sich aus.“
Allerdings sei auch NRW punktuell gefährdet. „Hier agieren rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen, und das ist für Menschen mit Migrationsgeschichte eine reale alltägliche Gefahr.“ Durch den Zulauf von Flüchtlingen besonders geforderte Städte benötigten jetzt dringend Entlastung, um die Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung nicht noch mehr zu füttern. Zugleich, so Zick, komme es auf die kommunale Politik an, nicht die Pegida-Stimmung zu schüren, um eigene Vorteile zu erlangen. Man müsse jetzt jenen ein neues Leitbild entgegensetzen, die immer noch an der Idee einer „Leitkultur“ oder einer „homogenen Volksgemeinschaft“ festhalten.
Die Integration der Flüchtlinge werde nicht ohne Konflikte verlaufen. Ganz konkret schlägt der Forscher vor, jene Regionen offensiv zu stärken, die bereit sind, Schutzsuchende aufzunehmen. „Das muss anerkannt werden“, sagt Zick. Nach dem „Soli Ost“ sollte die Politik über einen „Soli Integration“ nachdenken.