Visite bei den Ruhrfestspielen, ausverkaufte Lesung – und Gelegenheit, den großen deutschen Theatermacher Claus Peymann zu treffen. Ein Gespräch über Bochum, Theatermoden, Wut.
Recklinghausen.
Ein kleiner Feldstecher liegt in Claus Peymanns Hotelzimmer. „Habe ich immer dabei, wenn ich reise“, sagt er. Wenn die Gegend trist sei, könne man Trost in der Weite suchen. Aber Deutschlands größtes lebendes Intendantendenkmal (77) braucht das Fernglas heute nicht. „Schön hier“, sagt er über Recklinghausens „Engelsburg“ und lässt sich aufs Sofa fallen. Kulturredakteur Lars von der Gönna traf den großen Regisseur zum Gespräch über Bochum einst und jetzt, lästige Theatermoden und die ungebrochene Lust, seine Meinung zu sagen.
Es ist 30 Jahre her, dass Sie Bochum verlassen haben. Noch heute bekommen Menschen im Ruhrgebiet glänzende Augen, wenn Sie an die Ära Peymann denken. Wie haben Sie das gemacht?
Claus Peymann: Die Leute haben bei meiner Arbeit immer gespürt, dass da einer weiß, warum er Theater macht. Nicht, um seinen Lebensstandard luxuriös zu erhalten oder oft in der Zeitung zu stehen, sondern um sich mit dem Theater einzumischen, verbunden mit einer politischen und ästhetischen Botschaft.
Diese Ästhetik ist eine Konstante. Sie sind nie ins Tagesschau-Theater abgeglitten…
Peymann: Es ging ja auch um Sinnlichkeit. Ich fand immer: Theater muss ein Fest sein. Gute Aufführungen sind Fest fürs Herz und für die Sinne. Die haben mit Belehrungen und Dokumentartheater nichts zu tun.
Dabei ist es im Moment en vogue echte Asylanten oder Obdachlose in Inszenierungen einzubauen.
Peymann: Ja, große Mode. Hat mich nie interessiert. Für mich geht es um die Spieler und das Stück. Die Spieler sind die großen Interpreten, der Regisseur ist Vermittler – wie ein Dirigent. Die Stücke selbst sind die Botschaft. Wenn man heute einen „Nathan“ oder eine „Courage“ spielt, hat man dabei nicht zu vergessen, dass die Zeit der Kriege und Glaubenskriege nicht vorüber ist. Diese Botschaften versuche ich sinnlich zu vermitteln – nicht als Zwangsneurotiker wie mein alter Freund Frank Castorf, der seine persönlichen Obsessionen ununterbrochen in stundenlangen Exerzitien auf die Bühne trümmert. Das wollte ich nie, ich war immer ganz nah bei meinen Gefühlen, bei meiner Solidarität, meinem Engagement – gegen und für etwas.
Sie machen seit über 50 Jahren Theater. Macht diese Riesenerfahrung sicherer oder unsicherer?
Peymann: Unsicherer! Je älter man wird, desto weniger Stücke bleiben. Ich merke: Ich muss keine „Iphigenie“ und kein „Käthchen von Heilbronn“ mehr machen, das habe ich alles schon gemacht. Die Auswahl wird kleiner. Ich gehöre zu denen, die im Alter nicht weise werden. Ich bleibe nach wie vor so verletzbar und verletzend, dass es in der Regie nicht so einen Rückzug ins Private gibt wie bei Peter Zadek, der ja vom Rebell zum Altersweisen wurde.
Peter Zadek war Ihr Intendanten-Vorgänger in Bochum.
Peymann: Als Intendant eine völlige Null. Aber als Regisseur immer grandios.
Wollen oder können Sie nicht altersmilde sein?
Peymann: Ich würde vielleicht gern vertiefen, aber ich bleibe auf einer bestimmten Weise der politische Entertainer, ein Zirkusdirektor wie in den Stücken Thomas Bernhards: einer, den die Leute lieben, aber nicht immer ernst nehmen. So ist es halt, ich bin ein Zwilling.
Thomas Bernhard und Claus Peymann, das hat man oft kongenial genannt. Vermissen Sie ihn?
Peymann: Sehr. Der Schmerz hat bis heute nicht nachgelassen. Bis heute träume ich von ihm. Und dann sagt Thomas Bernhard im Traum zu mir: „Ich bin gar nicht tot. Sagen Sie’s aber niemandem. Ich bin eine andere Existenz geworden. Treffen wir uns morgen!“ Und ich frage „Wo?“ Und er sagt: „Im Rathauscafe in Gmunden.“ Aber dann kommt er nicht. Im Grunde bin ich Thomas Bernhards Witwe
(lacht)
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Mit Bernhard verband Sie auch eine große Liebe zur Sprache…
Peymann: Für mich ist die Sprache die Basis des europäischen Theaters. Was ich rundherum sehe, Videoinstallationen, Verballhornungen, das ständige Verbessernwollen großer Dichter, finde ich eine gefährliche Entwicklung. Wir geben eine unsere größten Einmaligkeiten aus der Hand: die Sprache. Dass ich dafür eintrete, lässt bestimmte Leute glauben, das wäre was fürs Museum.
Ich habe eher das Gefühl: Ich bin die Avantgarde. Wenn wir Sprache als Fest der Kommunikation nicht schützen, wenn wir diese Schlacht gegen die Eventkultur verlieren, dann ist der Theaterbegriff herkömmlicher Art verloren. Vielleicht werden wir dann wie das Urchristentum in den Katakomben die Fackel der Liebe für die Schönheit der Sprache und des Spiels neu entzünden müssen.
Trügt es, dass auch junge Schauspieler Sprachdefizite haben?
Peymann: Leider stimmt das. Zum Glück ist es nur zugedeckt. Die können es. Das Problem sind drittklassige Lehrer. Meine schlechtesten Regieassistenten sind heute Professoren und Leiter von Schauspielschulen. Die ahmen Castorf nach oder finden’s toll, wenn Laien auf der Bühne sind.
Man hat das Gefühl, dass Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner verdiente Theatermacher und Verfechter einer gewissen Sprachkultur wie Sie am liebsten ins Völkerkundemuseum stellen möchte…
Peymann: Das ist seine Strategie. Aber diese Schlacht hat er verloren. Ich glaube, Herr Renner ist schon jetzt ein toter Mann. Er weiß es nur noch nicht. Ich glaube, dass der Regierende Bürgermeister Müller Renner insgeheim längst fallen gelassen hat. So pfeifen es die Spatzen vom Dach.
Bei öffentlicher Kritik machen Sie kein großes Federlesen. Sind Sie ein klassischer Wutbürger?
Peymann: Nein, aber wenn mir Dinge nicht gefallen, dann gehe ich auch auf die Straße. Darum vermisse ich Günter Grass, der in dieser Hinsicht mein Vorbild war. Der hat sich nie nur ins Dichterstübchen gesetzt. Die eigentlichen Propheten sind ja die Dichter von Brecht bis Handke.
Ihre Meinung hat nie Rücksicht auf die Karriere genommen…
Peymann: Nee, ich bin angstfrei. Ich habe keine Angst vor Menschen, höchstens vor Phänomenen. Ich verliere dann auch jedes taktische Gefühl. Mir ist dann wurscht, wie es ausgeht. In Wien hab ich damals gegen drei Viertel der Nation den Krieg eröffnet
Auch Ihre Solidarität mit in Stammheim einsitzenden Terroristen hat einst die Politik provoziert. Fragen Sie sich manchmal, warum diese Art extremer Opposition verschwunden ist, wo doch die Feindbilder in Politik und Hochfinanz eher mächtiger geworden sind?
Peymann: Die Utopie ist zerbrochen. Die Hoffnung war ja auch gespeist von einer besseren Welt, vom Geist des Sozialismus. Wie wir wissen, ist diese bessere Welt nicht entstanden, nicht in der DDR mit ihren Spießern und Militaristen, nicht in der Sowjetunion. Die Träume sind weg, jeder lebt jetzt für sich allein. Leute hauen immer noch auf den Tisch, aber sie wissen nicht, für was. Das Denkgebäude fehlt.
Empfinden Sie auch so?
Peymann: Ein gewisser Pessimismus ist auch von mir nicht zu verleugnen. Aber auch das Gefühl von Hilflosigkeit, wenn ich die Zukunft sehe. Millionen in Afrika oder dem fernen Osten können einfach nicht leben. Die werden kommen, die Boote im Mittelmeer sind nur Spähtrupps. Die Millionen, deren Kinder auch durch uns verhungern, suchen ein anderes Leben. Wir werden Mauern bauen, um das aufzuhalten, aber das ist nicht die Lösung.
Resigniert ein Theatermacher da? Diesem düsteren Szenario hilft doch kein „Nathan“…
Peymann: Wir können mit dem Theater nicht die Welt verändern. Wir können die Köpfe nur wachhalten mit einer Botschaft, einer Alternative, wie es sein könnte. Mehr ist nicht drin. Es wäre schön, wenn wir mehr könnten. Aber durchsetzen müssen es andere.
[
Claus Peymann macht eine Pause. Dann fragt er
:]
Sagen Sie, wollen Sie denn gar nicht wissen, wer jetzt Intendant in Bochum wird?
Herr Peymann!!! Wir sitzen auf der Stuhlkante!
Peymann: Ich bin neulich mit Norbert Lammert zusammen geflogen. Und da sagt er: „Was machen wir denn jetzt mit Bochum?“ Da hab’ ich ihm folgenden Vorschlag gemacht: „Ich bin ab 2017 frei. Ich komme nach Bochum zurück und bringe den Hausmann und den Hartmann mit. Dann kommen drei Männer und retten das Bochumer Schauspielhaus vor dem Untergang.“ (lacht)
Klingt wie der Titel eines Stücks von Thomas Bernhard.
Peymann: Ich hab’ Lammert gesagt, er soll das durchsetzen. Er hat dann nicht mehr weiter von sich hören lassen. (lacht
herzhaft)