Schon seit sechs Jahren stehen in der etablierten Reihe der Kanzelreden in der evangelischen Salvatorkirche Philosophen, Journalisten, Juristen, Industrielle und Künstler als theologische Laien auf der Kanzel und sprechen über Gott und die Welt. „Da wurde es doch tatsächlich langsam einmal Zeit, dass sie als gebürtiger Duisburger uns eine Kanzelrede zusagen, Herr Doktor Engel“, begrüßte Pfarrer Martin Winterberg gutgelaunt Klaus Engel, den Vorstandsvorsitzenden des Chemiekonzerns Evonik mit Sitz in Essen.
Engel kam in Hamborn zur Welt, wohnte später im Schatten der Salvatorkirche am Wieberplatz und studierte an der Ruhruniversität in Bochum Chemie. Er habe in seiner Vita nicht versucht, mit Auslandserfahrungen zu punkten, sondern sei stets dem Ruhrgebiet besonders verbunden geblieben, betonte Winterberg in seiner Vorstellung des Gastes. Das spiegelte sich auch im Titel der Kanzelrede: „Füreinander einstehen und gemeinsam Verantwortung tragen? – Gedanken zur Solidarität in Europa, Deutschland und dem Ruhrgebiet“ wieder.
Zu viele bürokratische Hürden
Wo, wenn nicht in Duisburg könne man etwas über Solidarität lernen, fragte sich Engel laut. Er rief seinen Zuhörern den 160 Tage dauernden Arbeitskampf um das Rheinhausener Stahlwerk im Jahr 1987 in Erinnerung. Die gesamte Region und auch die evangelische Kirche am Niederrhein habe sich damals mit den Streikenden solidarisiert und in wenigen Wochen sei knapp eine Million D-Mark für die Streikkasse zusammengekommen. Auch habe die Kirche sich organisatorisch, inhaltlich und seelsorgerlich eingebracht und sei so zu einem wichtigen Faktor im nachhaltigen Strukturwandel geworden. Die Kirche stelle sich hier nicht nur grundsätzlich den Fragen nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit, sondern mischt sich direkt vor Ort ein und ergreift Partei für die Betroffenen.
Solidarität beschränke sich aber nicht nur auf eine Stadt oder Region oder eine Gesellschaft, sondern betrifft vielmehr alle Menschen. „Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben bewusst geschrieben: Die Würde des Menschen ist unantastbar – und nicht die des Deutschen“, erinnerte Klaus Engel.
Angesichts der dramatischen Flüchtlingsbewegungen in und jenseits von Europa müsste der Begriff der Solidarität weiterentwickelt werden. Zumal: „Im Ruhrgebiet ist praktisch jeder Einwohner irgendwann irgendwo hergekommen“, so der Konzernchef. Ohne Migration gäbe es unsere Art des Ruhrgebiets möglicherweise gar nicht. Klaus Engel forderte eine Absenkung der bürokratischen Hürden, um den Flüchtlingen dieser Tage den Start in eine Beschäftigung zu erleichtern. Die letzten zwölf Monate hätten gezeigt, das kleine und mittelständische Unternehmen offenbar deutlich mehr Flüchtlinge integrieren könnten, als Großunternehmen.
Die Kanzlerin habe auf dem Flüchtlingsgipfel die Konzerne zu Recht ermahnt, mehr zu tun und mehr Flüchtlinge auszubilden und zu beschäftigen. „Wir selber haben bereits sehr früh, im September vergangenen Jahres, ein Programm aufgelegt, das über 50 nachhaltige Hilfsprojekte an Evonik-Standorten unterstützt“, so Engel. Besonders die Sprachförderung stehe im Fokus vieler dieser Projekte. Insgesamt kamen 10 000 Flüchtlinge damit in Berührung.
Engel nannte „Start in den Beruf“ als ein Beispiel dafür, wie sich Evonik für Flüchtlinge engagiert. Dort habe man die ursprünglichen 50 Plätze für unterprivilegierte Jugendliche um 15 Plätze für Flüchtlinge aufgestockt. „Inzwischen haben zwei Drittel davon ein Ausbildungsangebot in der Tasche“, sagte der Vorstandschef.
Er erinnerte an die Mentalität der Menschen im Ruhrgebiet: „Wenn wir etwas anfangen, hören wir nicht auf, wenn es schwierig wird. Wir laufen nicht davon, sondern stellen uns Herausforderungen“, sagte Engel auf der Kanzel: „Die Bergbaukumpel haben es uns doch jahrzehntelang vorgelebt. Auf uns kannst du dich verlassen.“
Die Kollekte des Abends ging auf den Wunsch des Kanzelredners an das Kontakt-Café Pro Kids in der Duisburger Innenstadt. Dort werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betreut, die Entwicklungsdefizite aufweisen, in kritischen Wohn-und Lebensverhältnissen stecken und oft keinen Kontakt zur Familie haben.