Essen.
Die Unternehmen im Ruhrgebiet sehen den digitalen Wandel zwiespältig. Die Mittelstandsstudie der Commerzbank kommt zu dem Schluss, dass sich die Firmen der Region eher zurückhaltend mit digitaler Technik beschäftigen und von dem Einsatz einen geringeren Wachstumsschub erwarten als im Bundesdurchschnitt. Gleichzeitig zählt sich aber jedes vierte Unternehmen an Rhein und Ruhr zu den „digitalen Vorreitern“. Damit liegt das Ruhrgebiet bundesweit an der Spitze – vor Berlin, Baden-Württemberg und Bayern.
„Digitale Transformatoren“ – mit diesem sperrigen Begriff werden Unternehmen bezeichnet, die Digitalisierung zur Entwicklung neuer Produkte, Erschließung neuer Absatzwege und Vernetzung der Wertschöpfungskette nutzen. Von denen gibt es der Studie zufolge, deren Autoren Führungskräfte der ersten Ebene aus 4000 Unternehmen, davon 928 in NRW und 123 im Ruhrgebiet befragte, besonders viele. „Auf dieses Ergebnis können wir stolz sein“, sagt Jens Koschik, Niederlassungsleiter Mittelstand der Commerzbank in Essen. „Digitale Technologien sind für die Unternehmen im Ruhrgebiet durchaus eine Chance.“
Wenig unterscheidet sich der Revier-Unternehmer von denen im Rest der Republik bei der Bewertung der Konsequenzen, die Digitalisierung mit sich bringt: die lebenslange Bereitschaft zu lernen, Mitarbeitern in der Entwicklung auch Fehler und Misserfolge zuzugestehen und Kooperationsbereitschaft mit den Wettbewerbern zu signalisieren. Einen wachsenden Personalbedarf in den nächsten fünf Jahren sehen bundesweit 43 Prozent der Mittelständler, im Ruhrgebiet sind es nur 39 Prozent.
Einig sind sich alle, dass der Einsatz von IT auch die Führungskultur im Betrieb verändern wird und Führungskräfte als Motivatoren und Moderatoren gefragt sein werden. 85 Prozent der Revier-Mittelständler glauben sogar, dass es weniger Führungsebenen geben wird. Bundesweit sind es nur 68 Prozent. Nur 41 Prozent sehen die Notwendigkeit, dass Führungskräfte auch die fachlichen Experten sein müssen. Der Bedarf an Weiterbildung ist groß. Jens Koschik von der Commerzbank: „In der Weiterentwicklung des vorhandenen Personals liegt noch viel Potenzial.“
Shayan Faghfouri, Gründer und Gesellschafter des Essener IT-Beratungsunternehmens Dextra Data, kippt aus Sicht des Praktikers ein wenig Wasser in den Wein: „Das Ruhrgebiet ist eine der konservativsten Regionen in Deutschland, was IT-Innovation betrifft. Rund um Darmstadt. Kaiserslautern, Karlsruhe, Saarbrücken und Walldorf sind Zentren der Software-Entwicklung entstanden. Dort im Südwesten haben sich elf der 25 größten deutschen Software-Unternehmen angesiedelt. Aber auch Städte wie Berlin, Hamburg und München haben sich als Startup-, Innovations,- oder Software Standorte etabliert“.
Im Vergleich etwa zu den USA oder Südostasien hinke die gesamte Nation hinterher. „Deutschland ist in erster Linie ein Industrieland und kein IT-Standort“, sagt Faghfouri. Die Bundesrepublik habe es versäumt, in Halbleitertechnologien zu investieren und eine ansehnliche Produktion etwa von Mikroprozessoren aufzubauen. Darunter leide auch die Region an Rhein und Ruhr. „Mit dem Ruhrgebiet verbinden Außenstehende keinen Innovationsstandort. Dabei gebe es hier ideale Voraussetzungen und großes Potenzial.
Bei allen schlechten Rahmenbedingungen konstatiert Faghfouri, dass der hiesige Mittelstand inzwischen die Notwendigkeit zur Digitalisierung erkannt habe. „Digitalisierung bedeutet aber nicht nur Technik als Mittel zum Zweck, damit die Beschäftigten arbeiten können, sondern auch Führungskultur und Geschäftsmodelle“, so der Chef von Dextra Data. Die Umrüstung erfordere zwar hohe Investitionen. Aber kein Mittelständler könne es sich leisten, in Richtung Digitalisierung nichts zu tun.