Die Ur-Loge der Freimaurer liegt hinter Bronzetoren in London. Sie ist ein Netzwerk mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern.
London.
Freimaurer sind Geheimniskrämer und Heimlichtuer? Neben Covent Garden in London bemüht sich die älteste Großloge der Welt um ein anderes Image. Das Hauptquartier der englischen Freimaurer öffnet täglich für Gäste seine tonnenschweren Bronzetore. Wer sich über die Schwelle traut, wandert über Gold und blaues Lapislazuli.
„Ob wir mysteriös sind“, fragt Museumsleiterin Diane Clements, eine schmale Frau, die so diskret ihre Augenbraue hebt, dass sie die perfekte Geheimagentin wäre. „Nein, ich denke eher, dass wir sehr vertraulich miteinander umgehen und Privatsphäre schützen.“
Willkommen beim Anti-Facebook, den Freimaurern, einem formidablen Netzwerk mit weltweit über sechs Millionen Mitgliedern. Hier, im quirligen Soho, liegt ihre Zentrale, bei der die meisten von ihnen registriert sind. Es ist so etwas wie die Ur-Loge: In der „United Grand Lodge of England“ hat die gesamte Bewegung 1775 ihren Anfang genommen und sich dann über die ganze Welt verteilt. Hier liegt auch der prächtige „Große Tempel“ und die Bibliothek – größtes, papierenes Gedächtnis der Geheimnisumwitterten.
Draußen wuseln Touristen an dem kuriosen Bau vorbei, ohne zu wissen, was sich hinter den Mauern versteckt. Düster wirkt der Bunkerstil mit seinen Schnörkeln zwar nicht, doch in seiner Fensterlosigkeit gibt er auch nichts preis. Wer Museumschefin Clements finden möchte, tritt durch das schwere Portal, durchschreitet verlassene, kühle Steinarkaden und bleibt erstaunt unter pompösen Leuchtern stehen. Die Loge dürfte nicht nur Englands feinstes Art-Deco-Gebäude, sondern auch sein unbekanntestes Architekturjuwel sein.
In stillen Räumen dokumentiert Clements gerade den Export englischer Freimaurerbräuche in die amerikanischen Kolonien. 1717 hatten Steinbildhauer und Baumeister sich erstmals im Kirchhof der Londoner Kathedrale St. Paul’s organisiert. 15 Jahre später tauchen schon die ersten Mitgliedslisten der Tochterloge „Boston New London“ auf. Ein Freimaurer-Buch von Benjamin Franklin, dem amerikanischen Tausendsassa und Selfmade-Mann, hat Clements ebenfalls finden können – eine Rarität aus dem Jahr 1734.
Über 350 000 heute noch aktiv
Tochterlogen in der Neuen Welt haben Freimaurern den größten Zuwachs beschert. 14 US-Präsidenten gehörten zu ihnen. Das höchste Gebäude der Welt 1892 war eine Loge mit über 100 000 Mitgliedern in Chicago. Winston Churchill, Mozart, Nat King Cole – sie alle hatten sich den Freimaurern verschrieben. Auch Schmuck der deutschen Frauen-Großloge „Zur Humanität“ kann man im Zentrum von London besichtigen.
Rund 350 000 englische Freimaurer sind heute noch in der Loge am Covent Garden aktiv. Für sie geht es um „Wohlfahrt, Freunde und Weiterbildung“, sagt Clements. Ihre sagenumwobenen Rituale bei Treffen im „Großen Tempel“, einem Saal mit Säulen und Böden aus luxuriösen Gold-und-Lapislazuli-Mosaiken, bleiben indes privat.
Okkultisch gehe es aber nicht her, betont die Museumsleiterin. Vielmehr hätten Freimaurer immer schon ihre „sinnliche Seite“, nicht nur ihren Verstand, eingebracht. Wer durch ihre Ämter und Ränge aufsteigen will, braucht einen guten Leumund, muss karitativ arbeiten und seine Persönlichkeit lebenslang schulen.
Eigene
Tochterlogen
Über Nachwuchssorgen klagen die britischen Freimaurer, anders als andere Logen, kaum: Universitäten gründen mittlerweile eigene Tochterlogen. Im Zeitalter von Internet und schwindender Privatheit haben die alten Freimaurer-Traditionen in England wieder Konjunktur. Auch zum Handwerk, ihrer Wiege, pflegen sie ein gutes Verhältnis. Zuletzt haben Freimaurer Auszubildenden Bildhauerkurse gesponsert. Selbst der Große Tempel, Herz der Loge, ist öffentlich und wird gern von der „Fashion Week“ gebucht – als einer von wenigen Orten der Stadt bietet er Platz für lange Laufstege. Und schrullig-schön ist er ohne Frage.