Eine Hernerin residiert auf Schloss Windsor mit der Queen
Aus dem Ruhrgebiet ging es für Anngret Mikulsi erst nach Irland, dann ins Schloss Windsor in England. Der Grund ist die Liebe ihres Lebens, ihr Mann Hueston Finlay. Er ist Theologe und wurde von der Queen als Kanoniker für den Hof angefordert. Mittlerweile heißt Annegret Mikulsi Anne Finlay und liebt ihr Leben bei Hof.
Windsor/Herne.
Mal eben spontan an der Haustür bei Anne Finlay anklingeln – das funktioniert nicht. Wer sie besuchen möchte, muss erst einmal die Palastwache mit ihren Pauken und Trompeten vorbeilassen. Dann wartet der Gast unter einer bekrönten Laterne darauf, dass die Lehrerin aus dem Ruhrgebiet durch Torbögen heranschreitet. Die Hernerin residiert im Schloss Windsor.
Galant schiebt Anne Finlay sich an Heerscharen schnatternder Touristen vorbei und fischt einen schweren Eisenschlüssel aus der Handtasche. Er passt zu einer unauffälligen Holzpforte, die sich quietschend öffnet und den Blick frei gibt auf feinste Rasenlandschaften. „Dies ist der private Park, zu dem nur die Königsfamilie und die Schlossbewohner Zugang haben“, sagt Finlay, die hier ihren Hund Bella Gassi führt. „Manchmal sieht man die Queen mit Kopftuch vorbeireiten.“
Gatte Hueston wurde Kanoniker auf dem weltberühmten Schloss
Dass Annegret Mikulsi aus Herne heute als Anne Finlay in Windsor bekannt ist, verdankt die 50-Jährige dem Wirken Amors. Der verschießt 1989 seine Pfeile, als der irische Theologe Hueston Finlay zu einem Austauschbesuch in die evangelische Stephanus-Gemeinde nach Herne-Holsterhausen kommt. „Ich wusste zwei Wochen später, dass Hueston der Mann meines Lebens ist“, sagt Anne. Die beiden heiraten in Herne und ziehen erst nach Kilkenny in Irland und später nach Cambridge, wo der Pfarrer als Dekan und Lehrbeauftragter arbeitet.
Bis eines Tages ein Umschlag ins Haus flattert. „Er trug den Stempel der Downing Street“, erinnert sich Anne Finlay. „Zuerst dachten wir, uns will jemand auf den Arm nehmen.“ Mitnichten: Gatte Hueston war im Gespräch für den Posten eines Kanonikers am Schloss Windsor – jemand, der die Finanzen der hier ansässigen Georgskapelle regelt und vor hohem Besuch predigt. In der letzten Bewerbungsrunde sitzt Hueston Finlay ein freundlich lächelnder Prinz Philip gegenüber, der Ehemann der Queen.
2004 zieht die Familie hinter die Schlossmauern. Anne Finlay, Lehrerin, Molekularbiologin und Mutter von drei Kindern, muss sich auf das neue Ambiente erst einmal einstellen. „Es gab gleich einen Empfang mit der Queen, also musste schnell ein festliches Kostüm her.“ Die Unterkunft im Schloss, eine Maisonette-Wohnung, kommt mit Überraschungen, die selbst leidgeprüfte Altbau-Besitzer blass werden lassen. „Bei der Renovierung wurden Reste des ursprünglichen Fundaments gefunden“, so Finlay. Archäologen rücken an, die Familie musste jahrelang Quartier in einem Turm beziehen.
Heute ziehen sich die Reste jener alten Palastmauern durch Finlays Abstellraum im Keller. Was auf anderen Etagen als Wandschrank anmutet, ist eine Tür, die faszinierende Wandmalereien aus dem Mittelalter verdecken.
Annes Kinder haben die Schulbank mit Chorknaben und Mini-Royals auf dem Schlossgelände gedrückt. Bald soll hier auch der Nachwuchs von Elton John lernen. Gäste nimmt die mittlerweile geschichtsbegeisterte Deutsche gern mit aufs Dach der Schlosskapelle: Dort können diese auf den Spuren von Queen Viktoria wandeln, die sich in ihrer Trauer um den verstorbenen Ehemann an einem Geländer zur Predigt hangelte, nur um niemandem zu begegnen.
Abends kann man hinter den Mauern ein Dorfleben genießen
Die Schrulligkeiten ihres Wohnsitzes nimmt Anne Finlay gern in Kauf. Bei Kindergeburtstagen braucht das Wachpersonal am Tor die Gästeliste der Kurzen. Parkplätze vor dem „Haus“ bekommt man aus verständlichen Gründen eher selten. „Wenn Wachwechsel ist, kommen wir eine Stunde lang nicht zum Tor raus“, erzählt Anne Finlay. Wegen der musizierenden Bärenfellmützen hätte die Familie fast schon eine Fähre über den Kanal verpasst. „Dafür müssen wir auch nie die Haustür abschließen“, so die Deutsche. „Hier ist es absolut sicher.“ Meistens jedenfalls: Nur einmal hat sich ein Tourist irrtümlich in ihre Wohnung verirrt.
200 Menschen wohnen in dem Schloss mit der Queen – Geistliche, Ritter, Stallmeister und Bedienstete des Königlichen Haushaltes. „Wenn am Abend die letzten Touristen gegangen sind, kehren Ruhe und Dorfleben innerhalb der Mauern ein“, so Finlay. Da wird der Grill rausgeholt, da werden die Blumenkübel gewässert. So wie in einer Reihenhaussiedlung.