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Die Schrecken der Silvesternacht

Die Schrecken der Silvesternacht

Köln. 

Es sind Urteile im Namen des Volkes, aber das Volk ist nicht zufrieden. „Viel zu mild“, findet ein Zuhörer beim Verlassen des Saals 10 des Kölner Amtsgerichtes die zwölf Monate Haft auf Bewährung. Richter Gerd Krämer hat sie wegen sexueller Nötigung in der Silvesternacht gegen den 21-jährigen Iraker Hussein A. verhängt. Hassan T., ein 26-jähriger Algerier, der ihm geholfen hat, erhält am Morgen die gleiche Strafe. „Die lachen sich doch kaputt über die deutsche Justiz“, ist auch eine ältere Dame wenig später überzeugt, die auf dem Gerichtsflur diskutiert, aber ihren Namen nicht nennen möchte. Und ihr Begleiter hält es „fast schon für ein Wunder, dass endlich mal jemand vor Gericht steht wegen dieser Sache“.

Staatsanwalt Bastian Blaut packt da noch seine Sachen im Gerichtssaal zusammen, aber es ist davon auszugehen, dass er weiß, was die Leute im Land so reden. Denn tatsächlich ist die gestrige Verhandlung die erste, in der es um ein vollendetes Sexualdelikt im Zusammenhang mit der Silvesterfeier in der Domstadt geht. „Aber das“, sagt Blaut in seinem Plädoyer, liege nicht an laschen Ermittlungen. Die Ereignisse hätten schlichtweg „ein Ausmaß, das wir noch nie gekannt haben“. Schlechte Videoaufnahmen, überforderte Zeugen, nicht zu identifizierende Verdächtige. „Die Aufklärung ist extrem schwierig“, hat Blaut festgestellt.

Und sie wird in Zukunft nicht einfacher werden, wie das Verfahren schnell zeigt. Der Schrecken bei den Opfern, er ist geblieben, die Erinnerung an Einzelheiten aber beginnt bereits zu verblassen. Unter Tränen berichten zwei Frauen aus dem Siegerland, wie sie den Jahreswechsel im Schatten des Doms erlebt haben. „Ganz friedlich“ habe der Abend begonnen, erzählt eine 27-jährige Bürokauffrau. Bis ihr Verlobter, der die beiden begleitet, nach Mitternacht Fotos vor dem Dom von ihnen macht.

Die beiden Angeklagten tauchen auf, bitten freundlich, auch mal „mit den Mädchen“ abgelichtet zu werden, und plötzlich ist das Trio von 15 bis 20 „südländisch aussehenden Männern“ umringt. Die drei werden getrennt, die Frauen bekommen eindeutig zweideutige Angebote. Der 27-Jährigen wird an Po und in den Schritt gefasst, ihre 20-jährige Freundin von Hussein A. in den Schwitzkasten genommen und zu einem Kuss gezwungen. Anschließend leckt der Iraker der jungen Frau über das Gesicht.

Eine andere Gruppe lenkt derweil den männlichen Begleiter der Siegerländerinnen ab. Hassan T. bietet dem 34-jährigen Elektriker „5000 Euro“ für ein paar Stunden Sex mit den Frauen. Als das nichts bringt, wird der Ton rauer und T. radebrecht: „Give the girls, sonst tot.“ Gib uns die Mädchen oder du stirbst. Bevor es soweit kommt, gelingt den Dreien die Flucht in ihr nahe gelegenes Hotel. „Das waren keine schönen Erlebnisse“, erinnert sich eine der Frauen.

Handy-Fotos lassen keine Zweifelan der Identität der Täter

Wer wann wo wen betatscht, geschubst oder bedrängt hat, das können sie alle nicht mehr so genau sagen nach über sechs Monaten. Weil die Ereignisse sich damals überschlagen haben, Hände überall waren, Gesichter verschwammen in der Menge jener Nacht. Vielleicht wird auch deshalb von einem Zeugen kurzzeitig der arabische Dolmetscher verdächtigt, der neben der Anklagebank sitzt. „Es war einfach Chaos“, sagt eine der Frauen.

Eines aber wissen alle drei genau: Die Männer, die sich mit ihnen haben fotografieren lassen, haben sie später auch belästigt und bedroht. Und es sind die Männer, die nun auf der Anklagebank sitzen. „Wir haben uns die Bilder später immer wieder ganz genau angesehen.“

Am Ende hat das Gericht dann auch keine Zweifel. Den Rest gibt das Gesetz vor. „Unsäglich“ und „völlig inakzeptabel“ nennt Richter Krämer, was Silvester in Köln geschehen ist. „Aber“, sagt er auch, „wir können nur nach persönlicher Schuld bestrafen, sind angewiesen auf das, was wir nachweisen können.“

Im Namen des Volkes, nicht nach dessen Wünschen.