Abenteuer Wanderritt: Auf dem Pferderücken durch Brandenburg
Im Havelland können gestresste Städter auf dem Rücken von Pferden die Natur erkunden. Drei Stunden im Sattel vergehen wie im Flug, sind im Winter aber nichts für Frostbeulen.
Schönermark.
Meinst du mich? Araber-Berber-Schimmel Tiaret hebt den Kopf und prustet sanft in die Luft, als ich an diesem eiskalten Wintermorgen auf ihn zugehe. Kurz sieht es so aus, als wolle er kehrtmachen. Ich bleibe stehen, lasse ihm etwas Zeit, er senkt neugierig den Kopf und macht ein paar Schritte auf mich zu. Das Eis ist gebrochen. Er lässt sich artig das Halfter anziehen und folgt mir zum Hof.
Tiaret ist ein alter Hase. Er weiß genau, was ihn erwartet. Er hat schon viele fremde Menschen durch das Havelland getragen. Sie kommen oft aus Berlin, manchmal sogar von weit her angefahren und wollen einen halben oder ganzen Tag auf seinem Rücken verbringen. Das Kennenlernen findet immer auf der Weide statt.
Anstehen vor der Sattelkammer
Mit seiner Herde steht Tiaret ganzjährig draußen, Wind und Wetter machen ihm nichts aus. Seine dicke, lange Mähne ist voller Kletten und Verfilzungen. Mein Versuch, sie zu entwirren, scheitert. Rittführerin Maria teilt bereits Sättel und Trensen aus. Ich putze schnell über und kratze dem Wallach die Eisklumpen aus den Hufen. Dann stelle ich mich in die Schlange vor der Sattelkammer.
Fertig getrenst und gesattelt döst der Schimmel noch eine Runde, bevor der sportliche Teil beginnt. Dann heißt es aufsitzen. Sabine Zuckmantel, die den Betrieb vor rund 20 Jahren gegründet hat, bläst feierlich in ihr Jagdhorn – es kann losgehen.
Die 14 Reiter teilen sich in zwei Gruppen mit je einer Führerin auf und ziehen vom Hof. Maria kommt mit uns. Sie reitet mit uns die Dorf-Hauptstraße entlang, vorbei an niedlichen, kleinen Einfamilienhäusern und Betonwohnblöcken aus DDR-Zeiten. Es ist authentisch in Schönermark.
Feldweg und Kiefernwald: Das Stadtleben rückt in weite Ferne
Das Dorf rückt immer weiter in den Hintergrund und wird schließlich von einem Feldweg abgelöst. Er führt uns zum Kiefernwald. Im gemütlichen Schritt bleibt Zeit für eine Unterhaltung. Vier Freundinnen erzählen, dass sie extra aus Sachsen-Anhalt gekommen sind, um hier gemeinsam einen Wanderritt zu machen. Zwar reiten sie regelmäßig und besitzen auch Pferde. Aber ein gemeinsamer Ausritt ist mit ihren Pferden bisher nicht möglich gewesen.
Es ist Zeit für einen Trab. Der Boden ist sandig, das Land ist flach und weit – ideal zum Reiten. Bis zur Pause führt die Route an einen See – Fotozeit. Die Sonne versteckt sich etwas hinter den dichten Wolken. Die Rittführerin gibt aber alles, damit die Fotos trotzdem gut werden. Dann geht es weiter.
Führpferd im Dreitakt
Wir wechseln zwischen Schritt und Trab, treffen Spaziergänger, beobachten in der Ferne Rehe und einen Greifvogel, der über uns kreist. Immer wieder biegen wir auf enge Pfade ab. Dann ist Zeit für einen Galopp. Endlich. Das Führpferd springt im Dreitakt an, die anderen Pferde folgen artig. Der Himmel, die Bewegung, die vorbeiziehende Luft – herrlich.
Doch dann, von hinten irgendwo, die laute Aufforderung anzuhalten. Eine der vier Freundinnen hat Probleme mit ihrem Pferd – aus Angst, dass es hinfällt, möchte sie nicht mehr galoppieren. Führerin Maria kommt ins Schwitzen. Alle sollen sich sicher fühlen und Spaß haben. Bei den nächsten Galoppstrecken steigt sie deswegen gemeinsam mit der zögerlichen Reiterin ab und stellt sich an den Rand des Weges.
Nach gut drei Stunden im Sattel sind die Füße eingefroren
Die Gruppe soll nun einmal vorgaloppieren und wieder zurückkommen. Pferde sind Herdentiere, sie mögen es nicht, wenn ihnen ein Teil der Gruppe verloren geht. Schon gar nicht, wenn sie alleine zurückbleiben sollen. Der Plan, zu zweit zu warten, geht aber auf.
Es ist bereits später Nachmittag, als wir den Hof wieder erreichen. Etwa drei Stunden waren wir unterwegs. Die Füße sind eingefroren und der Hintern schmerzt vom Sattel, das merke ich erst, als ich absteige, um den Schimmel zu versorgen. Absatteln, Hufe auskratzen und ein bisschen Fell ausbürsten – dann dürfen die Pferde wieder auf ihre Weide.
Glühwein, Kaffee und Keksen
Alle werden gemeinsam durchs Tor geführt und auf Kommando freigelassen. Die meisten von ihnen galoppieren voller Energie von dannen. Im Gegensatz zu den meisten Reitern sind sie echte Langstreckenexperten. So ein halber Tag Spaziergang – für die trainierten Wanderreitpferde höchstens eine Aufwärmübung. Unter Umständen sind sie auch mal den ganzen Tag unterwegs.
Im kleinen Wohnhaus auf dem Hof versammelt Hausherrin Sabine die Reitgruppe anschließend bei Kerzenschein zu Glühwein, Kaffee und Keksen an einem großen Tisch. Einige planen schon den nächsten Ritt. Viele der Gäste kommen immer wieder. Das jährliche Highlight ist der vierwöchige Ritt durch Polen. Sabines Pferde reisen hierfür extra mit einer Pferdespedition von Schönermark nach Nordpolen. Pferdeaugen wollen schließlich auch mal was anderes sehen.
Echte Rittführer sind Profis auf ihrem Gebiet
Die Tiere sind meist aus Frankreich importiert, erzählt Sabine. Sie setzt überwiegend auf Berber oder Araber-Berber, eine zähe und leichte Pferderasse mit „viel Härte“, wie sie sagt. Diese Härte brauchen die Pferde, weil sie ganzjährig draußen leben und weil sie auf einem echten Wanderritt über Wochen mit allen möglichen Untergründen und Belastungen klarkommen müssen, Kilometer um Kilometer.
Die Pferde stehen selbstverständlich im Mittelpunkt des Sports. Doch auch an die Menschen stellt das Wanderreiten hohe Anforderungen. Echte Rittführer müssen Profis sein – sich orientieren können, auch mit Karte und Kompass. Gut reiten können. Und in der Lage sein, ein gelöstes Hufeisen wieder an Ort und Stelle zu nageln oder ein Pferd zu verarzten. Denn mitten im Gelände sind meist weder Hufschmied noch Tierarzt zur Stelle.
Passiert sei aber noch nie etwas Ernsthaftes, sagt Sabine – weder Mensch, noch Pferd. Die Mischung aus Routine und der Haltung mit viel Bewegungsfreiheit schafft ausgeglichene, robuste Vierbeiner. Diese Entspannung überträgt sich auf den Reiter. Die Natur tut ihr Übriges. (dpa)