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Klitschko und das organisierte Gebrechen

Klitschko und das organisierte Gebrechen

Hamburg. 

Vitali Klitschkos Gegner Shannon Briggs landete nach dem WM-Kampf am Samstag auf der Intensivstation – aber die Show geht weiter wie bisher.

Ein Boxer landet nach dem Kampf auf der Intensivstation. Man könnte daher von einem Skandal und von einem Drama erzählen, doch man muss es nicht. Denn die Kämpfe der Klitschko-Brüder Vitali und Wladimir rücken immer weiter in die Ecke eines Absurditäten-Kabinetts, aus dem einer der Auswege der Zynismus ist.

Dieses Mal in Hamburg sieht es so aus: Ein älterer Herr, der 38-jährige Shannon Briggs, versucht zwölf Runden lang, dem Schwergewichts-Weltmeister Vitali Klitschko die Faust mit der Nase zu brechen. Eine fatale Taktik. Am Ende hat der US-Amerikaner Briggs nach Punkten (120:107, 120:107, 120:105) verloren, seine Nase wirkt, als hätte er damit einen Güterzug gebremst, seine Betreuer packen ihn in einen Krankenwagen, auf dem das Blaulicht leuchtet, und in der Uni-Klinik legen sie ihn mit einer Fraktur über dem rechten und einer Fraktur dem linken Auge auf die Intensivstation.

Er sei ansprechbar, heißt es. Immerhin.

Schon zwei Stunden zuvor kletterte Briggs mit einem Gesicht in den Ring, das längst nicht mehr in der Jugend zuhause ist. Allerdings muss der 38-Jährige als Kind in einen großen Zuber mit Nehmerqualitäten gefallen sein; wenn Nehmen denn im Boxen eine Qualität ist.

Klitschko: „Mir taten die Hände weh“

Zwölf Runden lang hämmert Klitschko auf den Herausforderer ein. Mit Links. Mit Rechts. Mit Links. Mit Rechts. Einer ist an diesem Abend die Axt, der andere der Baum. Einer der Hammer, der andere der Nagel. „Mir taten die Hände weh“, sagt Klitschko später. „Ich dachte, der muss doch umfallen. Aber er blieb einfach stehen.“

Bis zum letzten Gong der zwölften Runde steht er, obwohl er zwischendurch mehrfach taumelt. In der Ecke von Briggs toben und brüllen 17 Betreuer, wohl ein Weltrekord, doch ein Handtuch hat offensichtlich keiner zur Hand, jedenfalls fliegt keins zum Zeichen der Aufgabe in den Ring. Entweder sind alle 17 Betreuer blind, oder Briggs hat sie schlecht bezahlt, und die Jungs in den roten Jacken machen sich einen Spaß daraus, ihren geizigen Boss noch ein bisschen länger leiden zu sehen.

Aber auch der Ringrichter und der Ringarzt greifen nicht ein. Beim Fernsehsender RTL sprechen sie verklärend von einem großen Kampf, schließlich lassen sich in den Ringpausen bei zwölf Runden mehr Werbeeinnahmen erzielen als bei sechs oder sieben Runden. Doch spätestens zu diesem Zeitpunkt sind von der Kampfmaschine, die Briggs angeblich in einem früheren Jahrtausend mal gewesen sein soll – 1997 gewann er gegen George Foreman, 1998 verlor er gegen Lennox Lewis – nur noch Brösel übrig.

Dennoch schreitet niemand ein, die 14 500 Menschen in der ausverkauften Arena johlen bei jedem Treffer, und RTL-Reporter Kai Ebel setzt dem Theater die Krone auf. Als Briggs nach seiner Niederlage noch im Ring ein paar Worte ins Mikrofon stammelt, meinte Ebel: „Sagen Sie doch mal Hummel Hummel, das macht man in Hamburg so.“

Manchmal möchte man vor Peinlichkeit in einen Schrank klettern und sich dort verstecken, bis alles vorbei ist.

Wenn es nur dieser Abend gewesen wäre: Schwamm drüber! Doch dieser Abend in Hamburg ist nur ein Teil der großen Klitschko-Show, die Schwergewichts-Weltmeisterschaft heißt. Das klingt nach Max Schmeling, nach Muhammad Ali oder nach Mike Tyson, doch es ähnelt immer mehr dem organisierten Gebrechen.

Die physisch und psychisch überlegenen Klitschko-Brüder lassen sich über ihre eigenen Management-Firma Gegner in den Ring stellen, die im Normalfall nicht gefährlich werden können. Das gehört zum Geschäft des Profiboxens, doch die Ausreißer nach oben fehlen. David Haye, der britische WBA-Weltmeister, wäre so ein Ausreißer. Die Klitschkos reden auch gerne von einem möglichen Kampf. Doch der nächste Gegner von Wladimir für den 11. Dezember in Mannheim steht schon fest: Der Engländer Dereck Chisora. Das nächste Opfer im Absurditäten-Kabinett.