Essen.
In Essen ist am Freitag der Prozess um mehrere Gruppenvergewaltigungen im Ruhrgebiet gestartet. Dabei ließ sich der Angeklagte Joshua E. ein – und nannte Details zum Vorgehen der Angeklagten.
Der junge Mann wirkte bei seiner Aussage sehr aufgeregt, sein jungenhaftes Gesicht war gerötet. „Ich war an allen Taten, die mir zur Last gelegt werden, beteiligt. Ich entschuldige mich aufrichtig für meine Taten und bin bereit, den Opfern Schmerzensgeld zu zahlen“, ließ er durch seinen Anwalt erklären. Anschließend machte er selbst seine Aussage.
Gruppenvergewaltigungen im Ruhrgebiet: Angeklagter packt aus
Der Angeklagte Gianni H. habe die Whatsapp-Gruppe „Spinnen GE“ gegründet. Er sei „plötzlich mit dabei gewesen“, berichtet E. dem Gericht: „Die haben da darüber geredet, welche Mädchen die besorgen. Aber auch normale Sachen.“ Der Name der Gruppe habe sich auf das Aussehen der Angeklagten bezogen: „Wenn man aussieht wie eine Spinne, ist man dünn. Und wir sind alle dünn.“ Der Angeklagte Dean Martin L. habe ihnen als Lockvogel gedient, er besorgte die späteren Opfer.
Auch in einer zweiten Whatsapp-Gruppe war Joshua E. Mitglied. Sie trug den Namen „Scorpion MC 1%“. Laut Staatsanwaltschaft stand der Name der Gruppe als Codewort für die Taten der Angeklagten. Die hätten sie „den Skorpion machen“ genannt. E. gab sich bei seiner Aussage als Mitläufer: „Ich wollte einfach zu den Jungs dazugehören. Bei den Sintis ist das so: Man kennt sich untereinander.“ Die Verlesung der Anklageschrift enthüllte dann weitere grausame Details.
Prozess um Gruppenvergewaltigungen direkt unterbrochen
Direkt zu Beginn wurde das Verfahren um die Gruppenvergewaltigungen am Landgericht allerdings unterbrochen – weil die Verteidigung eines Angeklagten die Öffentlichkeit vom Verfahren ausschließen wollte.
Der Grund: Er ist mit 17 Jahren noch minderjährig. Das Verfahren gegen ihn öffentlich stattfinden zu lassen, sei pädagogisch fatal, so seine Verteidigerin. Ein öffentlicher Prozess würde den Jugendlichen stigmatisieren.
Essen: Gruppenvergewaltigungen – mehrere Verdächtige vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft sprach sich in klaren Worten gegen diesen Vorschlag aus. Es wäre im Gegenteil pädagogisch wertvoll. Die Vorwürfe gegen die Verdächtigen sei durch die Berichterstattung ohnehin schon bekannt. Die Öffentlichkeit nun mit „Halbinformationen“ zurückzulassen, wäre fatal. Die Angeklagten müssten sich der Öffentlichkeit stellen.
Das Gericht folgte dieser Argumentation zumindest in Teilen, die Öffentlichkeit wird deshalb nicht für den gesamten Prozess ausgeschlossen „Das Interesse der öffentlichen Erörterung überwiegt deutlich“, so der Vorsitzende Volker Uhlenbrock.
Bei dem Prozess stehen mehrere Jugendliche und junge Erwachsene vor Gericht. Sie sollen mehrfach Mädchen vergewaltigt haben.
Nach einem der Verdächtigen, Dean Martin L., wurde im Februar gefahndet. Er war nach den Taten untergetaucht, stellte sich aber schon wenige Stunden nach Bekanntwerden der Öffentlichkeitsfahndung.
Bereits nach der Festnahme des ersten Verdächtigen hatte die Polizei Whatsapp-Chats ausgewertet. In eigens eingerichteten Gruppen namens „Spinnen GE“ und „Scorpions MC 1%“ hatten sich Dean Martin L., Joshua E., Gianni H., Enrico F. und ein weiterer 17-Jähriger über die Mädchen ausgetauscht – dort hatten sie letztlich offenbar auch die Taten geplant.
Dabei lockten sie die Mädchen unter einem Vorwand in einen Wald. Einer der Männer überredete die Mädchen, mit ihm und drei weiteren junge Männern etwas zu unternehmen. Täter und Opfer kannten sich lose aus dem erweiterten Bekanntenkreis oder den Sozialen Netzwerken.
Verwandte begingen zuvor wohl auch schon Gruppenvergewaltigungen
Bei den Vergewaltigungen nahmen die Männer den Mädchen erst das Handy ab. Dann fuhren sie mit den Schülerinnen zu einer abgelegenen Stelle in einem Wald im Essener Süden. Dort zwangen die Täter sie, Sex mit ihnen zu haben – sonst, sagten sie den Mädchen, würden sie sie nicht mehr nach Hause bringen.
Schon bald nach dem Bekanntwerden der Taten hatten fremdenfeindliche Verschwörungstheoretiker im Netz behauptet, die Täter seien muslimische Migranten, Polizei und Medien würden das verschweigen.
Kurz vor Beginn des Prozesses wurde bekannt, dass auch Verwandte der Angeklagten bereits Frauen vergewaltigt haben sollen. Mehrere männliche Verwandte einiger der Angeklagten, sollen um 1990 vom Essener Landgericht wegen ganz ähnlicher Taten verurteilt worden sein. Das berichtet die WAZ.
Demnach hätten auch sie befreundete oder bekannte Mädchen in ihren Autos in den Wald gefahren und vergewaltigt.
Inwieweit das Thema am Landgericht Essen behandelt werden wird, ist noch unklar.
1. Was steht in dem mysteriösen Knastbrief in Sinti-Sprache?
Seit dem 15. Februar sitzen vier der fünf Angeklagten in Untersuchungshaft. Nach Informationen von DER WESTEN haben zwei von ihnen versucht, über Briefe in einer Sinti-Geheimschrift Kontakt aufzunehmen. Offenbar wollten sie sich über die Inhalte ihrer Geständnisse absprechen.
Verdächtige tauschten Briefe in Sinti-Geheimsprache aus
Ein JVA-Mitarbeiter fing einen Brief ab. Der genaue Inhalt ist noch unbekannt. Er soll dabei auf ein Teilgeständnis abzielen, mit dem die Hauptschuld auf die anderen drei Angeklagten abgewälzt werden soll. Im Laufe des Prozesses wird es dazu wohl weitere Antworten geben. Der Prozess muss außerdem noch zwei wichtige offene Fragen klären.
2. Hätten die Behörden die Bevölkerung früher warnen können?
Am 17. Januar erstattete eines der Opfer der fünf Angeklagten Anzeige. Zwei Wochen zuvor hatte ein anderes Mädchen ebenfalls Anzeige erstattet. In beiden Fällen waren die Täter nach ähnlichem Muster vorgegangen.
Bei einer Pressekonferenz hatte es geheißen, die Ermittler hätten einen Zusammenhang zwischen den Taten erkannt. Hätten also zwei weitere Taten vom 21. und 24. Januar verhindert werden können, wenn die Behörden gewarnt hätten?
„Man ist davon ausgegangen, dass es nicht zu weiteren Taten kommt“
Oberstaatsanwältin Anette Milk sagte zuletzt gegenüber DER WESTEN: „Als erstmals ein Zusammenhang zwischen den Anzeigen vom 29. Dezember und 17. Januar hergestellt wurde, war das Bild von den Taten und der ‚Masche‘ der Gruppe gar nicht so klar, wie es heute für uns erkennbar ist.“
Ein Ermittlungsverfahren sei ein dynamischer Prozess, bei dem der Zuwachs von Erkenntnissen zu veränderten Einschätzungen führe.
Zunächst sei man nur von zwei Taten ausgegangen. Von den Tatverdächtigen war einer sofort festgenommen worden, während die anderen noch in Freiheit waren. „Man ist damals davon ausgegangen, dass es nicht zu weiteren Taten kommen würde, weil die Festnahme des ersten Beschuldigten ja nicht unbemerkt geblieben sein konnte“, so Milk.
Dean Martin L.: „Ich bin mehr Opfer als Täter“
Doch es kam anders: Offenbar völlig unbeeindruckt von der Festnahme ihres Komplizen vergewaltigten die anderen Mitglieder der brutalen Bande weiter.
Die genauen Abläufe der Ermittlungen werden auch Gegenstand bei der Beweisaufnahme im Prozess sein.
3. Verdächtiger Dean Martin L.: „Ich bin mehr Opfer als Täter.“ Was meint er damit?
Die Polizei kam nach der Festnahme des ersten Verdächtigen schnell auf die Spur der anderen mutmaßlichen Täter. Einer von ihnen, Dean Martin L., versteckte sich jedoch zunächst. Nach einer großangelegten Öffentlichkeitsfahndung stellte sich L. schließlich.
Über seinen Anwalt ließ er verlauten: „Ich bin mehr Opfer als Täter.“ Dean Martin L. habe damit zum Ausdruck bringen wollen, dass er ein Opfer der Justiz und der medialen Berichterstattung sei, erklärte Hans Reinhardt, der Anwalt von L., gegenüber DER WESTEN.
Dean Martin L.: Zum Gesicht des Verbrechens geworden
Wegen der Öffentlichkeitsfahndung sei er zum Gesicht der Verbrechen geworden. Dabei sei L. nicht der Anführer und Lockvogel der Vergewaltigerbande gewesen.